Seelen-Trümmer – burlesk: ‚Ariadne auf Naxos‘ in der Staatsoper im Schillertheater***

Die Bühne (von Katrin Lea Tag) ist ein klinisch-kahler, schwarz-weißer Raum, der durch hereinfahrende Seitenwände oder niedergleitende Vorhänge mal verkleinert, mal vergrößert werden kann. Am Ende des Vorspiels, in dem ein reicher Mäzen durch seinen Haushofmeister anordnet, die für eine festliche Abendunterhaltung bestellte Oper „Ariadne auf Naxos“ durch die Komödianten-Truppe der Zerbinetta aufzumischen, prasseln schwere Steine unter lautem Gepolter auf die Bühne. Wenn dann nach der Pause die Oper beginnt, sind diese – wohl einem antiken Gebäude entstammenden – Säulen- und Mauerteile zu einer putzigen Trümmerlanschaft arrangiert. Mittendrin auf eine weißen Chaiselongue gebettet:  die trauernde Ariadne in schwarzem Chiffon. Niemand kann sie aufheitern, weder ihre drei Dienerinnen, die lange,  krankenhaus-ähnliche Kittel tragen, noch die fesche Zerbinetta in ihrem pinkfarbenen Cocktail-Kleid, noch deren vier, zu allerlei Späßen aufgelegten Begleiter. Zuletzt versucht ein Tenor, der rasch mit Gold-Helm und ebensolchem Brustpanzer ausstaffiert wird, die unruhig umherflatternde Ariadne zu betören – vergebens: die an ihrer Todessehnsucht Leidende greift zum Messer und ersticht sich.
Ein psychischer Fall, dem weder klinische noch menschliche Zuwendung helfen kann, so deutet Regisseur Hans Neuenfels die (im Original glücklich endende) Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Neuenfels – nicht nur in Berlin lange Zeit als Skandal-Regisseur beleumdet – verzichtet diesmal auf äußerliche Provokationen – von ein paar (wieder schnell verschwindenden) Gummi-Penissen im Vorspiel abgesehen. Stattdessen beweist er seine durch lange Erfahrung gewonnene Kunst der genauen Personenführung und seiner ebenso sinnlichen wie bildmächtigen Umsetzung des jeweiligen „Textes“. Seine „Ariadne“ wird – äußerlich unaufwendig – zum tödlich endenden Psycho-Drama einer verlassenen Frau, der nicht zu helfen ist. Gleichzeitig aber zitiert und spielt Neuenfels mit den Mitteln des Theaters, lässt die Puppen tanzen vor und hinter dem Vorhang – komödiantisch und grotesk. Zerbinetta schwingt die Beine, Harlekin trällert sein Liedchen in eine kaputte Harfe gezwängt, der junge Komponist echauffiert sich heftigst gestikulierend und der Haushofmeister, den hier Ehefrau Elisabeth Trissenaar mit leicht sadistischem Grinsen mimt, wird zur chaplinesken Karikatur eines devoten Untergebenen im Dienst von bornierten Mäzenen oder tyrannischer Produzenten.
Musikalisch bleibt die Aufführung unausgewogen, auch wenn Ingo Metzmacher mit großem Elan dirigiert und die Musiker der Staatskapelle zu klangschönen Soli ermuntert. Die Sänger weden dagegen öfters durchs das dann allzulaute Orchester zugedeckt, Feinheiten gehen unter. Die Ariadne der Finnin Camilla Nylund überzeugt als Darstellerin, stimmlich mangelt es an Durchschlags- und Leuchtkraft. Brenda Rae singt ihre berühmte, koloraturgespickte Arie an die „Großmächtige Prinzessin“ technisch perfekt aber kühl, während Marina Prudenskaja als jugendlicher Komponist ein wenig allzu hoch-dramatisch ihre Spitzentöne herausschleudert. Roberto Saccà meistert die kurze, aber schwierige Partie des Bachus mit kräftig geschmetterten Tenor-Tönen, Gyula Orendt ist ein schön klingender, geschmeidiger Harlekin und Roman Trekel singt und spielt den um einen Kompromis zwischen Komödie und Tragödie kämpfenden Musiklehrer typgenau und überzeugend.
Auch wenn die Besetzung der neu inszenierten „Ariadne auf Naxos“ nicht optimal ausfällt, und auch wenn Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal in Wort und Ton eine andere Geschichte erzählen, nämlich wie der Tod durch innere Verwandlung überwunden und zu neuem Lebensglück wird : geschenkt!  Der Abend gehört Hans Neuenfels, der sich mit dieser Produktion offensichtlich (oder scheinbar?) vom jugendlichen Provokateur zum altersweisen Theatermann gewandelt hat. Und den das Publikum, das ihn einst ablehnte, nun mit Jubel überschüttet.
Ob das den alten Theaterhasen nicht stört?

Foto: Monika Rittershaus/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 17./20./22./25./27.Juni 2015