Lemuren-Party: „Eugen Onegin“ in der Staatsoper *

ec_67172_4373302cf6a01c01e620e0a56e2c49cc.jpgOffene, kahle Buehne, eine steile, nach hinten ansteigende Schraege. Grau-weiss in den ersten beiden Akten, die auf dem Land spielen, schwarz-glaenzend im dritten, dem Petersburger Akt. Alle Personen treten gleichzeitig auf, in schmutzig-weissen Kostuemen, Augen und Lippen mit dickem, schwarzen Stift umrandet: halb lebende Leichen, halb Schiessbuden-Figuren. Sie trippel von hinten nach vorn und zurueck, legen die Hand ans Herz oder strecken die Arme gen Himmel. Gelegentlich wird die Buehne schlagartig in rotes oder violettes Licht getaucht, etwa wenn der Schuss beim Duell faellt, ansonsten changiert die Beleuchtung zwischen hellen Grau- und blassen Gelbtoenen. Eine bizarre Marionetten-Welt, abstrakt und – trotz der staendigen Bewegungs-Arrangements einiger stummer Pantomimen (Freyer-Ensemble) – ohne erkennbare Entwicklung. Eine strenge, durchchoreographierte Performance in schwarz und weiss, aber keine Geschichte, kein Liebes- und Seelendrama wie es Tschaikowsky in seiner wohl populaersten Oper so fein psychologisch auspinselt.
Dieser optisch-abstrakten, bildermaechtigen Regie-Methode des Malers und Inszenators Achim Freyer verdankt Berlin manch grosse und phantasiereiche Theater-Abende (Haendels „Messias“, Verdis „Requiem“). Diesmal aber geht die Rechnung nicht auf, es gelingt keine fruchtbare Reibung zwischen Musik, Text und Inzenierung. Tschaikowskys anruehrende Menschengestaltung kann sich unter den Masken der Figuren kaum entfalten oder gar einen Charakter entwickeln, alles bleibt starr, unverbindlich und dadurch ziemlich langweilig. Auch die Musik vermag dies nicht zu retten. Trotz der engagierten Leitung von Daniel Barenboim zerfallen diese „Lyrischen Szenen“ in einzelne Nummern, mal zart und delikat, mal hart und laut droehnend – es fehlt der grosse,spannende, alles zusammenschliessende musikalische Bogen. Entsprechend schwer tun sich die Saenger mit ihren darstellerisch schematisierten Rollen, koennen sich dadurch auch musikalisch nur selten voll entfalten: Roman Trekel als schlanker Onegin, Anna Samuil als enttaeuschte Tatjana, Rene Pape in dem winzigen Auftritt des Fuersten Gremin. Lediglich Rolando Villazon, nach seiner Stimm-Krise wieder hervorragend in Form, zeigt als Lenski einige Buehnenpraesenz: ein anruehrender, melancholisch- trauriger Clown.
Dieser „Onegin“ ist ein sehr ehrgeiziger und engagierter Versuch, die ausgetretenen Inszenierungs-Pfade zu verlassen und neue Weg zu finden. Doch der Versuch ist gescheitert, allerdings auf hohem Niveau – und in Ehren, was man ueber viele andere Opern-Auffuehrungen der letzten Zeit in Berlin nicht sagen kann.

Foto: Monika Rittershaus