Schwarze Seelen: „Das weisse Band“ von Michael Haneke ****

Ort der Handlung: ein armes Dorf im norddeutschen Flachland. Zeit: kurz vor und waehrend des 1.Weltkrieges. Es beginnt mit einem Reitunfall des Arztes – irgendwer hat eine feine Schnur gespannt, dass das Pferd straucheln musste, kurz danach ist die Schnur verschwunden. Weitere raetselhafte Unfaelle und schlimme Vorkommnisse folgen in knappem Abstand: eine Baeuerin wird im Saegewerk toedlich verletzt, der Sohne des Gutsherrn im Wald gefesselt und geschlagen, eine Scheune brennt ab, der behinderte Sohn der Hebamme graesslich misshandelt, ein Baby eisiger Kalt-Luft ausgesetzt – und nie findet sich ein Taeter. Doch immer spielt eine Schaar Kinder eine merkwuerdige Rolle. Sie scheinen etwas mit den Ereignissen zu tun zu haben, bleiben aber meist stumm oder abweisend: die Kinder des Pfarrers, des Verwalters, des Arztes. Zu Hause werden sie streng erzogen, weisse Baender mussen sie als Zeichen der Tugend tragen – doch die repressive Erziehung macht sie zwar gefuegig, aber innerlich boese und gemein. Allmaehlich enthuellt sich die gesamte Dorfgemeinschaft als eine wahre Buechse der Pandora: bigott, brutal, sadistisch und pervers. Nur der junge Lehrer – der gleichzeitig auch als Ezaehler aus dem Off dient – und das junge Kindermaedchen der Gutsherrin, in das er sich verliebt, sind freundliche, liebenwerte Menschen – aber beide stammen nicht aus dem Dorf und verlassen am Ende seine Gemeinschaft.
Michael Haneke schildert diese schlimmen Geschichten von unheilvoller Erziehung und falscher Autoritaet in strengen, gestochen scharfen Schwarz-Weiss-Bildern. Raffiniert geschnitten und ohne Musikuntermalung: ein durchaus spannender, duesterer Horror-Thriller. Bemerkenswert sind vor allem Auswahl und Personen-Fuehrung der Kinder, die mit ihren klaren, aber auch verhaerteten Gesichtern fuer die beruehrensten Momente des Films sorgen. Daneben – auch in kurzen Rollen – hervorragende Schauspieler wie Susanne Lothar als gedemuetigte Hebamme oder Burghart Klaussner, der als Pfarrer und Vater seine bigotte Autoritaet unter einem scheinbar freundlichen Auftreten verbirgt.
Ein bisschen viel menschliche Duesterniss hat Michael Haneke in seinen Film gepackt, eine wenig zu deutlich erhebt er den gesellschafts-moralischen Zeigefinger, ein bisschen zu dick aufgetragen ist diese deutsche „Comedie humaine“ – der auffaelligerweise jeder Hinweis auf die politischen Verhaeltnisse oder Zustaende fehlt -,  doch die Inszenierung ist in ihrer schnoerkellosen Gradlinigkeit, in ihrer – bis ins kleinste Detail – scharf-beobachteten Genauigkeit und in ihrer suggestiven Bildsprache von einer hohen, kuenstlerischer Perfektion und formalen Geschlossenheit, die zugleich irritiert und fasziniert.

Foto/Verleih: X Verleih

zu sehen: CinemaxX Potsdamer Platz, Delphie, Yorck, Hackesche Hoefe, Kulturbrauerei, International, Capitol Dahlem