Vom Erwachsenwerden: „An Education“ von Lone Scherfig ****

London, 1961. Jenny, ein braves, dennoch selbstbewusstes Schulmaedchen, 16 Jahre alt, lebt in engen, kleinburgerlichen Verhaeltnissen. Sie versucht durch fleissiges Lernen einen guten Abschluss zu erzielen, um damit einen College-Platz in Oxford zu erhalten. Nur so kann sie ihrem spiessigen Elternhaus entkommen und ein gewisses Mass an Freiheit und Unabhaengigkeit gewinnen. Durch Zufall lernt sie den mindestens zehn Jahre aelteren David Goldman kennen, einen liebenswuerdigen, aber auch etwas undurchsichtigen, juedischen Immobilienmakler. Sie laesst sich mit ihm ein, geraet in einen ihr bis dahin unbekannten Freundeskreis, in dem man das Leben in vollen Zuegen geniesst:  Konzerte, teure Restaurants, schicke Kleider, Ausfluege nach dem damaligen Sehnsuchts-Ort Paris (Juliette Greco!) Die Eltern, verschuechtert und unsicher ob ihres bescheidenes Lebens im sued-westlichen Londoner Vorort, weit weg von Kunst und Kultur, lassen ihre Tochter gewaehren, geben sich mit Not-Luegen zufrieden. Jenny verlaesst die Schule, verlobt sich offiziell und entdeckt, dass David bereits verheiratet ist. Schockiert, ernuechert kehrt sie zu den Eltern zurueck, holt mit Hilfe einer ihr gewogenen Lehrerin den Schulabschluss nach – und bekommt am Ende des Films die Zulassung zum Literatur-Studium in Oxford.
Eigentlich eine ganz einfache, unspektakulaere Geschichte – Unordnung und fruehes Leid im streng buergerlichen England Anfang der 1960er Jahre. Doch der daenische Regisseurin Lone Scherfig gelingt ein kleines Meisterwerk: durch sensible Beschreibung ihrer Film-Figuren und deren Milieus. Klischees werden vermieden, die schwierige Balance zwischen kritischer und liebevoller Charakter-Zeichnung mit feinem Gespuer fuer kleinste Nuancen gehalten und in schoene filmische Bilder umgesetzt. Schlagfertige und treffsichere, oft ironisch oder sarkastisch gefaerbte Dialoge von Nick Hornby und ein grandios ausgesuchtes Darsteller-Ensemble – exzellent bis in die kleinsten Nebenrollen (u.a. Emma Thompson, Alfred Molina, Sally Hawkins).
Der vierundzwanzig-jaehrigen Carey Mulligan gelingt als symphatisch-taffe Jenny der grosse Sprung von der kaum bekannten Nachwuchsdarstellerin in die erste Liga der Stars: Nominierung als beste Schauspielerin fuer den diesjaehrigen Oscar. Ebenso eindrucksvoll und ueberzeugend Peter Sarsgaard in der komplizierten Rolle des ebenso liebenswerten wie windigen Immobilien-und Heiratsschwindlers David Goldman.
Ein sogannanter ‚kleiner‘, auch huebsch nostlgischer Film und zugleich ein grosser Wurf.

Foto/ Verleih: Sony Pictures

zu sehen: u.a.CineStar Sony Center (OV); Central Hackescher Markt (OmU); Die Kurbel; Movimento; Passage Neukoelln; CinemaxX Potsdamer Platz