Im sozialen Käfig: “ Fish Tank“ von Andrea Arnold ****

England heute, moderne Mietskasernen am Rande einer Stadt in Essex. Hier lebt die 15jährige Mia mit ihrer noch jungen Mutter und einer kleineren Schwester. Sie tut sich schwer mit ihrer Umwelt, ist wütend auf alle und alles -  ohne einen Grund dafür bestimmen zu können: sie schwänzt die Schule, reagiert bockig auf Mutter, Schwester und Freundinnen. Einzig Freude: geheimes Einstudieren von Street-Dance und Rap, heimlich bewirbt sie sich auch auf eine etwas dubiose Anzeige als Club-Tänzerin.
Als der smarte Connor, ein neuer Lover ihrer Mutter,  auftaucht und auf die rotzige reagierende Mia gelassen mit freundlicher Ironie antwortet, beginnt das verschlossenen Mädchen ihm gegenüber aufzutauen: erstmals fühlt sie sich von einem Erwachsenen ernst genommen. Mehr durch Zufall als aus Absicht kommt es eines Abends sogar zu einem sexuellen Kontak. Daraufhin stellt Mia  – in falscher Einschätzung der Lage und Gefühle – Connor nach und entdeckt, dass er in einer benachtbarten, hübschen Einfamilien-Kolonie mit Frau und kleinem Kind ein normales, (klein-)bürgerliches Ehe-Dasein führt. Im Aufruhr ihrer enttäuschten Gefühle entführt sie zunächt das Kind, gibt aber nach einem turbulenten Marsch durch die trostlose Industrie-Landschaft am nahen Meer ihr sinnloses Vorhaben wieder auf.
Sie verlässt  Mutter, Schwester, den leicht verwahrloste Haushalt und die (vom Sozialamt angekündigte) Aussicht auf eine internat-ähnliche Sonder-Schule, und fährt mit einem kaum bekannten Freund nach Wales…
Diese eigentlich unspektakuläre Pubertäts-Geschichte aus einem sozial einfachen Milieu, erzählt die junge britische Regisseurin Andrea Arnold (es ist ihr zweiter Spielfilm) im Stil des berühmten, englischen „Küchen“-Realismus, aber ohne dessen meist politisch-überdeutlichen Zeigefinger. Feinfühlig und sensibel zeichnet sie das Porträt der unausgereiften 15-jährigen Mia als ein im Grunde liebenswert-normales Mädchen, das aber ohne jede familiäere oder schulische Hilfe mit sich und seinem Leben nicht zu Rande kommt – zumal in einem sozialen Umfeld am Rande der Verwahrlosung. Dabei vermeidet Andrea Arnold bei allem zeitgenössischem Elends-Realismus die direkte gesellschaftliche Anklage ebenso wie die Glorifizierung sozial-politisch helfender Ideen. Empathie statt Ideologie.
Dass dieses psychologische Portät aus der unteren Sozialschicht so stimmig wirkt, verdankt der Film neben der dokumentarischen Genauigkeit der Regisseurin vor allem der jungen Schauspielerin Katie Jarvis: ihr gelingt eine ungemein intensive Darstellung dieses frühreifen Mädchens – ebenso lebensecht wie anrührend.
Ein spannendes Sozialdrama von Heute, präzise, eindrucksvoll, ohne Pathos, gelegentlich mit britisch-nüchternem Humor.

Poster-Foto und Verleih: IFC Films

zu sehen: Hackesche Höfe Kino (OmU), Rollberg (OmU), Kino am Friedrichshain, Neue Kant Kinos, u.a.