Blut im (Ballett-)Schuh: ‚Black Swan‘ von Darren Aronofsky ****

Nina (Natalie Portman), eine junge hochbegabte Tänzerin im heutigen New York, strebt nach technischer und tänzerischer Perfektion, malrätiert dafür täglich ihren zarten Körper. Umsorgt, aber auch ausgebeutet von ihrer übermächtigen, fast dämonischen Mutter (Barbara Hershey), die ihre eigenen, gescheiterten Ballett-Ambitionen in der Tochter verwirklichen möchte. Nina hat Glück. Der Theater-Direktor und Choreograph Thomas (Vincent Cassel) besetzt in seiner neuen Schwanensee-Produktion die berühmt-schwierige Doppel-Rolle der Schwanenkönigin mit ihr, wobei er deutlich zu erkennen gibt, dass er ihrer keuschen Mädchenhaftigkeit wohl die Rolle des „Weissen Schwans“ zutraut, dass ihr aber der verführerische Sex-Appeal des bösen „Schwarzen Schwans“ noch fehle. Mit dreisten, auch sexuellen Avancen versucht er Nina zu lockern: sie solle „loslassen“, nicht in kalter Tanz-Technik erstarren – denn die Kunst setze erst nach der Perfektion ein.
Nun beginnt für Nina bis zur Premiere ein regelrechter Alptraum, bei dem sie (und auch der Zuschauer) nicht mehr zwischen Realität und Wahn zu unterscheiden vermögen: mit der Kollegin Lily (Mila Kunis), die ihr mal als liebenswürdige Freundin, mal als bösartige Konnkurrentin erscheint, entweicht sie der strengen, mütterlichen Obhut und ihrem mit Stoff-Kuschel-Tieren angefüllten Jungmädchenzimmer, probiert Drogen, geht Sex-Affären ein. Sie entdeckt merkwürdige Verwundungen an ihrem zarten Körper:  blutige Kratzer auf dem Rücken (verursacht durch schwarze Pfeile?)  oder schmerzhaft eingerissene Fingernägel. Sie besucht ihre kalt abservierte, danach durch einen Autounfall verletzte Vorgängerin Beth (Winona Ryder) im Krankenhaus, entdeckt deren grässliche Bein-Narben, flieht entsetzt, und glaubt schliesslich sogar, in ihrer Garderrobe eine neidische und eifersüchtigen Kollegin ermordet zu haben. Ein Horror-Trip an dessen Ende die glanzvoll-umjubelte Premiere mit ihr als neuem Ballett-Star steht: allerdings mit tödlichem Ausgang.
Dem 42-jährigen Hollywood-Regisseur Darren Aronofsky ist – nach seinem letzten, in Venedig 2008 preisgekrönten Film „The Wrestler“ – ein neuer Treffer gelungen. Wiederum die spannend beobachtete, stark emotional mit-empfundene Zerstörung einer Persönlichkeit – nicht nur durch die Umgebung, hier: der hoch-gedrillten Ballett-Welt, sondern vor allem durch eigene Schwächen und Abgründe der Psyche. Wie in Tschaikowskys „Schwanensee“ in der Doppel-Rolles des schwarzen und des weissen Schwans die beiden Seiten einer einzigen Persönlichkeit verkörpert werden, so entdeckt im Film die Tänzerin Nina in ihrem jungmädchenhaften, aber auch frigiden Körper ihren gespaltenen Charakter. Die Flucht in die (äusserliche) Perfektion der Kunst erweist sich bei ihr als tragischer Irrtum, die scheinbare Rettung durch die Kunst wird zur todbringenden Falle.
Nicht nur inhaltlich deutet Aronofsky den „Schwanensee“ neu, sondern auch formal, indem er  Tschaikowskys dramatische Ballett-Musik raffiniert und virtuos in weitausschwingende, filmische Bewegungen umgesetzt, geradezu choreographiert.  Dabei konzentriert er sich (mittels Handkamera) besonders auf Gesicht oder Hinterkopf von Nina: der Zuschauer erlebt dadurch direkt mit, was sie sieht oder wahrzunehmen scheint – Einbildung und Wirklichkeit sind kaum zu unterscheiden. Geschickt verwendet der Regisseur Stilmittel und Ideen aus der Filmgeschichte  (von Michael Powells Ballettklassiker „Die Roten Schuhe“ bis zu Hitchcock, Polanski u.a.), aber er setzt diese Mittel  auf sehr eigene Weise ein, indem er sie heutigen filmtechnischen Möglichkeiten anpasst und intellektuelle Erkenntnisse über Gesellschaft und Psyche geschickt einbezieht .
Seine emotionale Intensität erlangt der Film aber neben dieser ausgeklügelten Regie besonders durch die exzellente Kameraarbeit, den raffinierten Schnitt und eine mal aufpeitschende, mal unheimliche Musik-und Geräusch-Kulisse -  vor allem aber durch das intensive Spiel von Natalie Portmann als ehrgeizig-scheuer Nina, die allmählich die düster-abgründigen Seiten ihrer Psyche entdeckt: eine brillante, darstellerische ‚tour de force‘, die soeben berechtigt mit einem ‚Golden Globe’  ausgezeichnet wurde.
Manche Szene, manches Detail mag ein bisschen überspitzt, zu ausgeklügelt oder klischeehaft erscheinen,  insgesamt gelingt Darren Aronofsky jedoch ein ebenso spannender wie mitreissender Höllentrip durch die menschliche Psyche, gespiegelt in der zugleich harten wie filigranen Kunst-Welt des Balletts – ein Thriller von düsterer Schönheit.

Poster/ Verleih: Twenthies Century Fox

zu sehen: Cine Star Sony Center (OV); Babylon Kreuzberg (OmU); Central Hackescher Markt (OmU); Astor; Cubix; Titania Palast;  Delphi; International;  Kulturbrauerei; Passage Neukölln; Colosseum u.a.