Strukturen der Gewalt: ‚In einer besseren Welt‘ von Susanne Bier ***

Geschichten von Vätern und Söhnen.  Anton arbeitet als ‚Arzt ohne Grenzen‘ mehrere Monate im Jahr in einem afrikanischen Flüchtlingslager, wo er immer wieder schwangere Frauen operieren muss, denen ein sogenannter ‚Big man‘ sadistisch den Bauch aufgeschlitzt. Bis dieser schwarze Monstermann, der aussieht wie ein wiedererstandener Idi Amin, selbst das Lager wegen eines zertrümmerten Beins aufsuchen muss, und Anton vor der Frage steht, ob er er ihm helfen darf oder sogar muss. Schnitt: Im heimatlichen Dänemark freundet sich sein 12jähriger Sohn Ellias mit dem gleichaltrigen Christian an, einem Neuzugang in der Schule, der -  nach dem Krebstod seiner Mutter -  mit seinem Vater aus London ins hiesige, luxuriöse Haus der Oma gezogen ist. Christian sieht wie der eher scheue Ellias als Sündenbock der Klasse drangsaliert und geschlagen wird und verprügelt nun seinerseits die Peiniger recht brutal. Als Vater Anton aus Afrika wieder für ein paar Wochen nach Hause kommt, gerät er mit einem groben Kraftfahrer in handfesten Streit und erhält von diesem eine Ohrfeige. Anton schlägt nicht zurück: er will so seine moralische Überlegenheit und das von ihm (auch in Afrika) vertretene Prinzip der Gewaltlosigkeit demonstrieren. Doch die zuschauenden Christian und Ellias halten ihn für einen Feigling und versuchen nun ihrerseits gewaltsam Rache an dem rüden Kraftfahrer zu nehmen. Zufällig finden sie in einem Schuppen altes Schiesspulver und basteln – Anleitung im Internet -  an einer Auto-Bombe…
Die rennomierte dänische Regisseurin Susanne Bier hat (zusammen mit dem Drehbuchautor Thomas Anders Jensen) ein spannendes und intelligentes Szenario über verschieden Formen der Gewalt entwickelt: wie sie entsteht, welche Folgen sie haben kann. Aber nicht als abstakte Diskussion, sondern als alltägliches, familiäres Ereignis. Verdeckt im bürgerlich zivilisierten Dänemark, offen-brutal im afrikanischen Flüchtlingslager.  Dort erschlagen die wuterfüllten Opfer nach dessen Heilung den brutalen ‚Big Man‘, ihren Peiniger. Im idyllisch-dänischen Hafenstädtchen schauen die Lehrer aus falsch verstandener Toleranz über Gewaltauswüchse an ihrer Schule lächelnd hinweg, muss sich Christians Vater Mitschuld am Tod seiner Frau eingestehen, verrennt sich Christian in gewaltbereite Selbstgerechtigkeit.
Susanne Bier erzählt die verschachtelten Episoden in kraftvollen, schnellen Bildfolgen, immer wieder unterbrochen von ruhigen Landschaftsaufnahmen aus Kenia und dem dänischen Fünen. Unterstützt von einem hervorragenden Darsteller-Ensemble, das aus erdachten Figuren lebendige Alltags-Menschen gestaltet und das über die oft plakative Moral, die das Drehbuch den einzelnen Personen zuschreibt, eindrucksvoll hinwegspielt.
Die Konstellationen dieser Familien-Geschichten sind äusserst klug erdacht, doch eine echte Antwort auf die Frage nach Macht, Gewalt,  Gegengewalt und Rache ( ‚Rache‘ lautet auch der dänische Original-Titel)  vermag er nicht zu finden. Statt dessen zieht er sich auf die Gewohnheiten und Regeln des grossen Gefühls-Dramas zurück: untermalt von einem waberndem Musik-Teppich breitet sich dementsprechend auch ein tränenseliges Happy-End aus. Die Paare finden sich erneut, Väter und Söhne versöhnen sich mit- und untereinander.
Kein Wunder, dass Hollywood in den dänischen Emotionen seinen besten, fremdsprachigen Film gefunden hat:  Golden Globe und Oscar als Preis für ein Kino, das ein engagiert-sperriges Thema zur intelligent-verdaulichen Unterhaltung veredelt.

Foto/Verleih: Universum Film GmbH

zu sehen: fsk (OmU); Hackesche Höfe (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichshain; Filmkunst 66; International; Kino in der Kulturbrauerei; Neues Off; Union; Thalia Potsdam