Tschechow, gesplittet: ‚Tri Sestri‘ in der Staatsoper im Schillertheater ***

Der ungarische Komponist Peter Eötvös (geb.1944) schuf sein erstes grosses, musikdramatisches Werk im Auftrag der Oper von Lyon, wo diese ‚Tri Sistri‘ nach Tschechows berühmtem Stück dann auch durch Kent Nagano 1998 uraufgeführt wurden. 
Seitdem ist diese Oper im In- und Ausland mehrfach nachgespielt worden. Die Berliner Staatsoper hat jetzt ‚Tri Sestri‘ mit der „Bayrischen Theaterakademie August Everding“ koproduziert und präsentiert sie – nach der Münchner Premiere – in drei Vorstellungen innnerhalb ihres momentanen Festivals „Infektion!/Musiktheater im 21.Jahrhundert“ (1.-17 Juli).
Peter Eötvös hat das Drama um die drei in der russischen Provinz verwelkenden Schwestern nicht einfach nacherzählt, sondern die zeitlich-logische Abfolge der Geschichte gesplittet und neu zusammengesetzt:  aufgeteilt in einen knappen Prolog (der drei Schwestern) und in drei ‚Sequenzen‘, in denen er jeweils eine Person in den Mittelpunkt stellt. Die erste und längste Sequenz schildert Irinas Verzweiflung und ihren resignierenden Entschluss, den ungeliebten Baron Tusenbach zu heiraten (der aber dann im Duell fällt), in der zweiten Sequenz schwankt der zögerliche Bruder Andreij zwischen seiner resoluten Frau Natascha und seinen drei unglücklichen Schwestern, und in der letzten und kürzesten Sequenz steht Mascha  im Mittelpunkt:  ihre hoffnungslose Liebe zu Werschinin, der als Offizier die Stadt verlassen muss.
Doch die mit diesem dramaturgischen Griff verbundene Absicht, das gleiche Geschehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu zeigen, überzeugt wenig, schafft einige Unklarheiten für denjenigen, der das Schauspiel nicht kennt. Diese Vorgehensweise zerstört das kunstvoll-raffinierte Ineinander der Tschechow’schen Vorlage, statt sie zu erhellen oder neu zu deuten.
Musikalisch ist jeder Person ein Instrument zugeordnet, den Männern die Holz- und Blechbläser, den drei Schwestern die Streicher. Diese Gruppen befinden sich unter Leitung von Julien Salemkour im Orchestergraben, während ein zweites, grösseres Musiker-Ensemble (Leitung: Joachim Tschiedel) im erhöhten Hintergrund der Bühne unter einer Art Kurkapellen-Muschel dem musikalischen Geschehen dramatischen Effekt verleiht. Ob dazu allerdings diese Orchester-Verdopplung notwendig ist, erschliesst sich im Schillertheater kaum. Dennoch: eine bei aller Atonalität affektreiche, sehr theatralische Musik.
Auf offener Bühne – zwischen Orchestergraben und den Musikern auf dem hinteren Podium – setzt  die Regisseurin Rosalind Gilmore die Geschichten der drei Schwestern vielfach in tänzerisch-pantomimische Bewegungen um, wodurch vor allem die komischen und grotesken Momente des Stücks betont werden und einen starken Kontrast zu den elegischen Augenblicken der Verzweiflung oder Resignation bilden. Ein paar hereingeschobene Möbel, dazu schlichte Kostüme im historischen Schnitt, ermöglichen einen schellen, pausenlosen Ablauf des Abends, der nur gut anderthalb Stunden dauert. Manches scheint ein bisschen übertrieben oder modisch, manches klischee-haft, insgesamt aber wirkt die szenische Umsetzung solide und einsichtig.
Ihre Überzeugungskraft und Stärke (und auch ihren Erfolg beim Publikum) verdankt die Aufführung jedoch einem vorzüglichen Ensemble aus jungen, noch kaum bekannten Sänger-Darstellern von starker Bühnen-Präsenz und ansteckender Spielfreude.
Es ist der engagierte Einsatz dieser jungen Künstler,  der einer sehr kunstvoll erdachten und nicht immer leicht verständlichen Oper zu schöner Theater-Lebendigkeit verhilft.
Doch ob das zeitgenössische Musikdrama mit diesem Werk den engeren Kreis seiner Freunde und Förderer – hin zu einem breiteren Publikum – durchbrechen kann, bleibt offen.

Foto: Paul Green/Staatsoper Berlin

weitere Vorstellungen: 4. und 6.Juli 2011