Star-Vehikel: ‚Don Carlo‘ in der Deutschen Oper ***

Verdis fünf-aktige ‚grande opera‘ nach Schillers Drama wurde 1867 in französischer Sprache in Paris uraufgeführt, danach arbeitete der Komponist das Werk mehrfach um, unter anderem zu einer vieraktigen, italienisch gesungenen Fassung für die Mailänder Scala. In dieser Bearbeitung, die heute von fast allen Bühnen der Welt benutzt wird, inszeniert jetzt der Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli das Drama um den spanischen Infanten als opulenten Bilderbogen. Klobig-graue Wände drehen, öffnen oder verschieben sich zu diversen, kahlen Räumen, und zwar so, dass immer Schlitze freibleiben und – vor den hell-farbigen Hinterwänden -  ein grosses Licht-Kreuz bilden. In diesem abstrakten Umfeld arrangiert der Regisseur die vielfältigen Auftritte und Abgänge der in zeitlose Kostüme gekleideten Personen. Er durchwirkt die verbotene Liebesgeschichte zwischen Carlos und seiner Stiefmutter mit symbolisch aufgeladenen Requisiten wie dem weissen Schleier Elisabeths, der im Laufe der Handlung durch die Hände aller Personen wandert, oder er lässt die flandrischen Deputierten als effektvollen Schluss kurzerhand erschiessen. Doch eine Interpretation des politischen wie familiären Geschehens bleibt ebenso vage und oberflächlich wie die schematische und klischeehafte Charakterisierung der Personen. Vorteil dieses mehr oder weniger konventionell-gefälligen Arrangements: Musik und Gesang beherrschen die Szene – die somit auch offen und kompatibel für reisende Sänger-Stars in kommenden Vorstellungen ist:  eine kurze Einweisung des Abendregisseurs mag dann genügen.
Zum Triumph des Abends wird deshalb (in der gegenwärtigen Aufführungs-Serie) die gut zusammengestellte Besetzung aus internationalen Gästen in den Haupt-, und Mitgliedern des Haus-Ensembles in den Neben-Rollen.
Generalmusikdirektor Donald Runnicles und sein Orchester erweisen sich als tüchtige Begleiter, sorgen für zügigen Ablauf, verzichten aber weitgehend auf eigene musikalische Akzente. Massimo Giordano ist ein spielfreudiger, jugendlich-temperamentvoller Don Carlos, schlank, gutaussehend, mit kräftig-flexiblem Tenor. Boaz Daniel ist sein ebenfalls sehr jugendlicher Freund Posa, mit schönem Bariton, aber als Pesönlichkeit recht steif und blass. Roberto Scandiuzzi überzeugt als König Philipp mit einem gut geführten, voluminösem Bass, in der Darstellung wirkt er aber eher müde und hölzern – seine grosse, elegische Arie (‚Ella giammai m’amo‘) erregt kaum irgenwelches Mitleiden. Voll präsent dagegen die rothaarige Eboli der Anna Smirnova: auch wenn sie sich darstellerisch aufs herkömmliche Klischee der Intrigantin in der grün-schillernden Seidenrobe konzentriert, stimmlich vermag ihr umfangreicher, voller Mezzosopran sehr viel plastischer und differenzierter die gespaltene Persönlichkeit der zwischen Stolz und Verzweiflung schwankenden Prinzessin zu verlebendigen (besonders in ihrer mit grossem Aplomb herausgeschleuderten, letzten  Arie: ‚O don fatale‘).  Frappierend ebenfalls: der fast stählerne Sopran der Venezuelanerin Lucrezia Garcia, die als Elisabeth für Anja Harteros kurzfristig in den ersten Vorstellungen einspringt – samtig-satt in der Tiefe, strahlend in der Höhe, geschmeidig und perlmutglänzend in den leisen Passagen.
Leider verhindert die matronenhafte Erscheinung der noch jungen Sängerin eine überzeugende Darstellung ihrer Figur, ebenso wie das bloss dekorative Arrangement des gesamten Abends – wohl unbeabsichtigt – bestätigt: Opas Oper lebt – den vielen ehrgeizigen (gelungenen wie misslungenen) Erneuerungsversuchen zum Trotz.

Foto:Barbara Aumüller/Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 29.Okt./02./09./12.November 2011