Mein Berlinale Tagebuch 2012

LES ADIEUX DE LA REINE von Benoit Jacquot ***
Zeit: 14.-18.Juli 1789, Ort: das Schloss von Versailles. Die junge Sidonie Laborde (Lea Seydou) ist Vorleserin der Königin Marie Antoinette (Diane Kruger). Unter der zahllosen Dienerschaft gehen Gerüchte über die Erstürmung der Pariser Bastille um, verbreiten Angst und Schrecken und sensibilisieren die allgemeine Beobachtung des hohen Herrscherpaares. Auch dieses scheint verunsichert, bereitet die Flucht ins Ausland vor.  Sidonie, ihrer Königin voll ergeben, muss jedoch auf deren Befehl mit der Grafin P., einer intimen (lesbischen?) Freundin Marie Antoinettes als schützende Begleitung in die freie Schweiz fliehen – ein für sie schmerzhaftes ‚Adieux a la Reine‘.  Ein delikat gefilmter  Bilderbogen, der die grossen gesellschaftspolitischen Umwälzungen im Alltag des betroffenen Versailler Königshofes zu schildern versucht. Elegante Kostüme, prachtvolle Interieurs und gute Schauspieler. Ein unterhaltsamer, nicht allzu tief schürfender Historienfilm mit üppigen Schauwerten.

EXTREMELY LOUD AND INCREDIBLY CLOSE von Stephen Daltry (ausser Konkurrenz) **
Verfilmumng des gleichnamigen Romans von Jonathan Safran Foers. Der knapp 10-jährige Oscar Schnell hat seinen Vater beim Angriff auf das World-Trade-Center verloren. Im Wandschrank des Toten findet er einen Schlüssel mit dem Namen ‚Black‘. Traumatisiert und sich der Mutter entfremdend, sucht er in ganz New York nach einem Besitzer dieses Sicherheitsschlüssels, da er glaubt dadurch sein seelisches Gleichgewicht wieder zu finden. Teilweise begleitet ihn dabei sein stummer Grossvater. Doch der flüssig inszenierte Film bleibt literarische Fiktion, findet keine kinogemässe Umsetzung. Der kindliche Held wirkt hier, im realen und realistisch gefilmten Geschehen nur nervtötend altklug und das aufgesetzte Happy End bleibt verlogen und schal. Schade um die guten Schauspieler, darunter Tom Hanks, Sandra Bullock, Viola Davis und der Kinderstar Thomas Horn.

CESARE DEVE MORIRE von Paolo & Vittorio Taviani ***
Theateraufführung von Skakespeares ‚Julius Cäsar‘ als soziales Projekt in einem römischen Gefängnis. Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm. Kraftvoll und  klug inszeniert – beginnend mit dem erfogreichen Ende der Aufführung vor Publikum – in Farbe, dann in Schwarz-Weiss die langen und vielfältigen Proben-Stadien und am Film-Ende nocheinmal der Schlussteil der Aufführung (wieder in Farbe). Die starke Symphatie der beiden Regie-Brüder Taviani für diesen Resozialisierungs-Versuch durchzieht den ganzen Film, kritische Informationen spielen keine Rolle.

BARBARA von Christian Petzold ****
Die Geschichte einer Ärztin in der DDR. Da Dr.Barbara Wolf (Nina Hoss) einen Ausreiseantrag gestellt hat, wird sie in ein Provinzkrankenhaus versetzt und ständig überwacht. Sie plant mit Hilfe ihres reichen West-Freundes die Flucht über die Ostsee, doch entschliesst sie sich im letzten Moment in der DDR zu bleiben, da sie glaubt, dass es sinnvoller ist, den Menschen ihres Umfelds als Ärztin psychisch wie physisch zu helfen als im Westen das Leben einer verwöhnten Ehefrau zu führen. Der Film überzeugt weniger durch das allzu konstruierte Drehbuch und seine schlicht-gestrickten Figuren als durch die genau getroffene, bedrückende Alltags-Atmosphäre eines Provinzkaffs im totalen Überwachungsstaat DDR, wo jeder jedem misstraut und sich Freunden und Kollegen nur langsam und vorsichtig zu öffnen bereit ist. Neben der überzeugenden Nina Hoss ein gut ausgewähltes Darstellerensemble. Im filmischen Stil – mit seinen vielen Grossaufnahmen – eher einer TV-Ästhetik verpflichtet.

SHADOW DANCER von James Marsh (ausser Konkurrenz) ****
Intelligenter Psychokrimi vor dem Hintergrund des Nordirlandkonflikts im Belgrad der 1990er Jahre. Im Mittelpunkt eine junge Frau, Colette MacVeigh, aus dem Kreis der IRA, die beim Ablegen einer Bombe in einem Londoner U-Bahnhof verhaftet und vom britischen Geheimdienst vor die Wahl gestellt wird : lange Gefängnisstrafe oder Bespitzelung der eigenen Familie für die Engländer. Colette versucht sich zwischen den verfeindeten Lagern durchzumogeln, um sich und vor allem ihren kleinen Sohn zu retten. Getragen wird dieser spannende Film, der raffiniert wie ein Thriller inszeniert ist, von zarten, blassen Gesicht der Schauspielerin Andrea Risebourough, die dieser zwiegespaltenen Frau in einer von grausam-starrköpfigen Männergesellschaft, eine starke, sehr weibliche Präsens verleiht.

L’ ENFANT D’ EN HAUT von Ursula Meier ****
Simon ist erst 12, aber als Dieb ein Profi. Mit seiner angeblichen Schwester Louise, einige Jahre älter als er, lebt er in einem tristen Hochhaus in einem französische-schweizerischen Ski-Gebiet.
Tagsüber klaut Simon auf der von Touristen übervölkerten Piste, was ihm in die Hände fällt – Skier, Sonnebrillen, Anoraks oder auch Vesperbrote, mit dener er sich ernährt. Später verkauft er die gestohlene, oft teure Marken-Ware zu billigen Preisen, wie es sich gerade ergibt. Die Schwester nimmt gelegentlich Jobs an, z.B. als Reinigungshilfe in den vermieteten Luxus-Chalets oder sie verschwindet einfach mit wechselnden Freunden. Einmal enthüllt Simon, dass Louise in Wahrheit seine Mutter sei – sie bestreitet das sofort. Beide jungen Leute sehnen sich offensichtlich nach menschlicher Wärme, die sie aber weder untereinander noch bei anderen Personen finden. Als die Ski-Saison zu Ende ist, bleibt Katerstimmung, aber beide werden weitermachen – ähnlich den abziehenden Saisonarbeitern der Hotels und Restaurants. Ein sensibles Porträt der beiden jungen Menschen, beide orientierungslos in einer hektisch-geschäftigen Welt, nur auf sich selbst und ihre spröde Zusammengehörigkeit angewiesen : ein bemerkenswerter, genau beobachtender Film, hervorragend fotografiert, mit überzeugenden Darstellern -  ganz ohne Pathos und vor allem ohne filmisch beschönigendes Happy-End.

JAYNE MANSFIELD’S CAR von Billy Bob Thornton ***
Alabahma 1969. Eine steinreiche, erzkonservative Grossfamilie auf einem pompösen Landsitz im typischen ‚Vom-Winde-Verweht‘-Stil.  Zu Beerdigung der einstigen Hausherrin, die nach der Scheidung ein  zweites Mal in England geheiratet hat, reisen die dort angeheirateten und bisher unbekannten Verwandten an : mehr gehasst als geschätzt. Auch sonst hängt der Haussegen ziemlich schief, die erwachsenen Kinder erweisen sich als Taugenichse, kiffende Hippies oder Anti-Vietnam-Demonstranten. Regisseur Billy Bob Thornton, der selbst als kriegs-traumatisierter Sohn und Versager mitspielt, entwickelt eine voll ausgreiffende Familien-Schlacht mit stark komödiantisch-grotesken Einschlägen, die allerdings – nach Mainstream-Manier – in lauter versöhnlichen Tönen endet. Gute Schauspieler (u.a. Robert Duvall und John Hurt als das kauzige, amerikanisch-britisches Gegensatzpaar der Familien-Patriarchen), vielfach witzige Dialoge und eine attraktve Retro-Ausstattung im Stil der Sixtie’s  u.a. mit dem Schuppen, in dem  das Todesauto der verunglückten Jayne Mansfield gegen entsprechenden Eintritt bestaunt werden darf. Gefällige Unterhaltung.

LA MER A L’ AUBE von Volker Schlöndorff *** (Panorama)
Oktober 1941 in der französischen Bretagne: aus Rache für den Mord an einem Nazi-Offizier in Nantes ordnet Hitler die Erschiessung von 150 französischen Geiseln an. Die Behörden vor Ort müssen die Listen mit den Todeskandidaten erstellen. Der Film schildert, wie aus einem Internierungslager für Kommunisten und Juden an der bretonischen Küste 27 Männer ausgewählt und von einem deutschen Wehrmachtskommando füsiliert werden. Dabei konzentriert sich der Spielfilm von Volker Schlöndorff auf drei Personen: den inhaftierten, 17jährigen Schüler Guy Moquet, dessen anrührender Abschiedsbrief an seine Familie jährlich an den Schulen Frankreich vorgelesen wird, den deutschen Dichter und damaligen Offizier Ernst Jünger, der den barbarischen Akt nur als distanzierter Beobachter wahrnehmen will, und den noch jungen Wehrmachtssoldaten Heinrich Böll, der – historisch unkorrekt – an dem Massaker teilnehmen muss und dabei seelisch und körperlich zusammenbricht. Ein konventionelles, handwerklich solides Film-Drama, eine grauenvolle Episode deutscher Nazi-Geschichte, deren aufklärerisch-pädagogische Absicht, die künstlerische weit übertrifft.

WAS BLEIBT von Hans-Christian Schmid ***
Deutsches Familiendrama im Milieu der Besserverdiener. Ein Verleger (Ernst Stötzner), wohnhaft in modern-eleganter Villa im Siegkreis, versammelt die engere Familie an einem Sommer-Wochenende um sich, um zu verkünden, dass er sich aus Altersgründen sich vom Geschhäft zurückzieht. Der ältere Sohn (Sebastian Zimmerl) ist Zahnarzt, doch die (von Vater bezahlte) Praxis läuft nicht, der jüngere (Lars Eidinger) ist ein halbwegs erfolgreicher Autor, hat aber Eheprobleme und sich von seiner Frau getrennt. Die Mutter Corinna Harfouch), manisch depressiv, fühlt sich unterfordert – verübt Selbstmord. Alltags-Probleme und Beziehungsgeschichten zwischen und unter den verrschiedenen Generationen, flüssig inszeniert, gute Dialoge und ausgezeichnete Darsteller.
Kein grosser, aber in seiner konzentrierten Erzählweise ein ansprechend-kluger Film.

CAPTIVE von Brillante Mendoza ***
Nach realen Vorkommnissen im Jahr 2001 gedrehtes Entführungsdrama auf den Philippinen. Die muslimische Terrorgruppe Abu-Sayyaf entführt eine Gruppe aus Touristen, Entwicklungshelfer und Missionaren und zwingt sie zu einem monatelangen, strapaziösen Marsch durch den Dschungel. Soldaten der Regierung erweisen sich als unfähig, die Geiseln zu befreien, eher gefährdet sie die erschöpften Menschen durch wahllose Schiessereien. Mit der Zeit entwickeln sich ambivalente Beziehungen zwischen Entführer und Entführten. Auch die Natur und die einheimische Bevölkerung, soweit sie ins Bild kommt, scheinen in merkwürdig schillernder Beleuchtung.

Spannend und raffiniert inszeniert, bleiben jedoch die Absichten des Regisseurs undeutlich. Isabelle Huppert ordnet sich dem Darstellerensemble aus Profis und Laien perfekt ein.

HAYWIRE von Steven Soderbergh ** (ausser Konkurrenz)
Action-Thriller des vielbeschäftigten US-Regisseurs. Temporeicher Agenten-Krimi durch den schneebedeckten State New York, durch enge Gassen in Barcelona, über die Dächer von Dublin und am Strand New Mexico’s. Der Plott ist so verschachtelt, dass das Interesse des Zuschauers immer wieder zu erlahmen beginnt. Im Mittelpunkt: die Mixed-Martial-Art-Kämpferin Gina Carano, die hier ihr Filmdebut gibt: als ebenso elegante wie schlagkräftige Agentin. Um sie herum ein körperlich nicht ganz so fittes, dafür aber glamouröses Männer-Ensemble: Michael Douglas, Michael Fassbinder, Ewan McGregor, Antonio Banderas. Handwerklich gekonnter Mainstream, ansonsten überflüssig.

CSAK A SZEL (Just the Wind) von Bence Fliegaufs ****
Im Wald am Stadtrand einer ungarischen Stadt: ein kleine Siedlung von heruntergekommenen Häusern, bewohnt von Roma-Familien. Eine dieser Familien beobachtet der Film einen Tag lang, vom morgendlichen Aufstehen der Mutter, die zur Arbeit als Putzfrau in der Stadt geht, der Tochter im Teen-Alter, die zur Schule muss, während ihr jüngerer Bruder schwänzt. Der Vater ist in Kanada, sobald genügend Geld vorhanden, will der Rest der Familie nachkommen. Denn die allgemeine Stimmung im Land ist romafeindlich und nachdem am Abend wieder alle zu Bett gegangen sind, wird die Familie im Dunkeln überfallen und brutal erschossen. Die sehr bewegliche Handkamera verfolgt die verschiedenen Familienmitglieder diesen einen sommerlichen Tag über, bleibt ganz dicht bein ihnen. Und zeigt nebenbei wie sie auf eine abweisende Haltung bei der übrigen Bevölkerung stossen: beim Busfahrer, bei den anderen Putzfrauen, bei einer Gruppe auf der Strasse herumlungernder, saufender Männer. Ein intensiver Blick in ein beunruhigend-ärmliches Milieu und in eine brutale Welt, in der blanker Fremdenhass regiert. Ein Film – nur von ein paar sparsamen Tönen unterlegt – ohne pathetische Anklage, aber zutieft erschreckend in seinen genauen, nervös-bedrohlichen Bildern.

GNADE von Matthias Glasner **
Ein deutsches Ehepaar (mit schulpflichtigem Sohn) zieht ins norwegische Hammerfest: Nils (Jürgen Vogel) arbeitet dort als Ingenieur in einer grossen Gasverflüssigungsanlage, seine Frau Maria (Birgit Minichmayr) in einem Sterbehospitz. Bei der Heimkehr von einer Nachtschicht überfährt Maria auf der dunklen, schneebedeckten Landstrasse eine  Schülerin – ohne es zunächst richtig wahrzunehmen. Auch Nils, der darauf hin die Strecke abfährt, findet nichts. Erst ein paar Tage später wird die Leiche in einem Schneeloch entdeckt – doch da es keine Zeugen gibt, verläuft die Untersuchung im Nichts. Erst nach seelischen  Sühne-Qualen und einem dadurch inneren Erstarken ihrer laschen Beziehung, gehen Nils und Maria einige Wochen später zu den Eltern der getöteten Schülerin und gestehen, was vorgefallen ist. Die Polizei wird – so kann man dem Epilog beim heiter-gelassenen Sommerwendfest des Ortes entnehmen – nicht eingeschaltet. Matthias Glasners Film fällt zwiespältig aus: neben grossartigen Bild-Sequenzen, in denen die norwegische Landschaft optisch grandios einbezogen wird und einigen sensibel gestalteten Innen-Szenen ( z.B.wenn Nils und Maria dem Elternehepaar ihre Schuld gestehen), werden weitschweifig und umständlich die einzelnen Etappen des Beziehungs- und Schuld-Dramas aufgeblättert,  dazu diverse Nebenhandlungen (Nils Seitensprung, der Streit des Sohnes mit Schulkameraden) breit eingefügt  und  vor allem raschelt allzu aufdringlich das Papier der Dialoge. Auch bleibt die Geschichte letzlich sehr privat, lässt allgemeinere Aspekte nur teilweise erkennen. Hervorragend dagegen das Darstellerensemble, insbesondere die norwegischen Schauspieler. Fazit: ein hochbegabter, ehrgeiziger Regisseur, ein nur in Teilen überzeugendes, filmisches Schuld-und-Sühne-Drama.

ELLES von Malgoska Szumowska ** (Panorama)
Eine rennomierte Pariser Journalistin (Juliette Binoche) recherchiert über Studentinnen, die durch Prostitution ihr Geld verdienen. Sie interviewt dazu ausführlich zwei junge Frauen (eine Französin und eine Polin), deren Schilderungen von oft bizarren Sex-Erlebnissen in knappen Rückblenden zu sehen sind. Dabei gerät die gut bürgerliche Journalistin, verheiratet, zwei halberwachsene Söhne, mit sich und ihrer eigen Sexualität in Konflikt. Natürlich: Happy-End und neues Glück mit dem Ehemann. Ausser den hübschen Gesichtern der beiden ‚Nutten‘ und der hochelegant gekleideten Juliette Binoche und ihrer menschlich-symphatischen Ausstrahlung hat der Film nichts zu bieten. Nicht einmal für Voyeure.

BEL AMI von Decian Donnellan & Nick Ormerod ** (ausser Konkurrenz)
Ausstattungs-Spektakel nach dem schon mehrfach verfilmten Roman von Maupassant. Die Geschichte eines skrupellosen Aufsteigers in der Pariser Gesellschaft um 1890 – einer Zeit des hemmungslosen Kapitalismus, der Gier und des schönen Scheins. Der Held schläft sich durch diverse Betten der Ehefrauen mächtiger Männer an die Spitze der Gesellschaft, zu Geld und zu Vermögen. Doch statt eines (bösen) aktuellen Gleichnisses schwelgt der Film in oppulenten Kostümen und Paris-Kulissen (gedreht in Budapest). Der amerikanische Teene-Star aus den Vampir-Kassenknüllern, Robert Pattinson, spielt einen dauergrinsenden Schönling, mehr Trottel als berechnender Aufsteiger, aber immerhin ganz attraktiv assistiert von Uma Thurman, Christina Ricci und Kirstin Scott-Thomas. Oberflächliches Kostüm-Kino.

TABU von Miguel Gomes ****
Die alte Aurora lebt mit ihrer schwarzen Haushälterin in einer kleinen Neubauwohnung in Lissabon, verspielt ihr weniges Geld gern im Casino. Ihre Nachbarin Pilar hilft ihr dann aus und steht ihr auch sonst hilfsbereit zur Seite. Als Aurora ins Krankenhaus muss, gibt sie Pilar die Adresse eines alten Freundes, den sie ans Krankenbett holen soll. Doch bis Pilar den alten Herrn in einem Altersheim gefunden hat und mit ihm ins Hospital fährt, ist Aurora schon tot. Der einstige Freund enthüllt nun – in einer  grossen Rückblende – die Vorgeschichte : eine stürmische Liebesaffaire zwischen ihm und der damals verheirateten Aurora im kolonialen Afrika der 1950er Jahre, die nach deren Entdeckung durch Auroras Mann ein abruptes Ende findet – seither haben sie sich nie wiedergesehen. Ein bewusst ‚altmodischer‘ Film, im damals üblichen Schwarz-Weiss-Format und mit vielerlei Anspielungen auf die die Geschichte und die Mythen des Kino. Die Sehnsucht der Alten nach der Vergangenheit, die melodramatische Amour fou, die Exotik des fernen Afrika – all diese Motive werden mal in stummen Spielszenen erzählt, mal als ‚voice-over‘ berichtet, mal als Slapstick, mal als dramatischer ‚Kulturfilm‘. Geräusche und Musik sind oft kontrastierend zu den Bilder eingesetzt, amerikanische Schlager wie portugisisch anmutende Melodien. Dadurch entwickelt der Regisseur Miguel Gomes eine ausgeklügelte, anspielungsreiche Erzählweise – die im Gegensatz   zu ihrer scheinbar ‚tradidionellen‘ Form in Wirklichkeit sehr ungewöhnlich und hochmodern ist  – ein ebenso raffinierter wie kunstvoller Film.

FLYING SWORDS OF DRAGON GATE von Tsui Hark **
Martial-Art-Spektakel in 3D. Fliegende Schwerter und duch die Lüfte sausende Kämpfer beiderlei Geschlechts wirbeln im wildem Tempo durch Wüsten und Sandstürme: ein chinesisches Action-Märchen aus sagenhaften Zeiten – meist in ausgewaschenen Sepia-Gold-Tönen. Dazu westliches Minimal-Music-Gewummere mit chinesischen Gongs  und dröhnendem Schwerterklang kombiniert – nach einer halben Stunde, in der die raffiniert-virtuosen (digitalen) Spezial-Effekte zu bestaunen sind, beginnt das Interesse schnell nachzulassen, da sich die Kung-Fu-Choreographien scheinbar endlos wiederholen -  Langweile breitet sich aus…

BAI LU YUAN (White Deer Plain) von Wang Quan’an *
China zwischen 1912, dem Ende des Kaiserreiches und 1938, dem Überfall der Japaner. Ort: ein Dorf in der Provinz. Zwei Familien-Clans bekämpfen einander, passen sich den politisch-gesellschaftlichen Umbrüchen der Zeit an und nützen dies für den eigenen Vorteil aus: eine Dorfgesellschaft der Mitläufer und Wendehälse. Dazwischen eine attraktive Frau mit sexuellen Anforderungen an ihre verschiedenen Freunde und Ehe-Männer. Ein episch angelegtes Gesellschafts-Panorama, das aber seinem eigenen Ziel kaum gerecht wird: der Film verheddert sich rasch in einzelne Privat-Episoden, besonders in alberne Sex-Szenen,  und verliert darüber den Gesamtzusammenhang. Er schlittert in belanglos-uninteressante Sequenzen, und mündet trotz oppulenter Landschafts-Aufnahmen – inhaltlich wie filmisch – in 188 Minuten ermüdender Langeweile.