Brave Satire: ‚Moskau-Tscherjomuschki‘ in der Schiller-Werkstatt (Staatsoper)***

Dmitri Schostakowitsch ist ein musikalisches Chamäleon: neben seinen ernsten Werken schrieb er zahlreiche Film- und Unterhaltungsmusiken – und 1958 seine einzige Operette. Sie erzählt von vier unterschiedlichen Paaren, die – teils freiwillig, teils gezwungen – aus der vergammelten Moskauer Innenstadt in die gerade frisch errichtete, moderne Rand-Siedlung Tscherjomuschki (dt. Vogelbeerbäumchen) umgesiedelt werden: in schmucke Zwei-Zimmer-Wohnungen mit eigener Küche und eigenem Bad (was angesichts der damaligen Moskauer Wohnungsnot nicht üblich war, da in den mehrfach belegten Gross-Wohnungen Bad und Küche gemeinsam benutzt werden mussten).
Doch auch in der neuen Trabantenstadt gibts für die teils verliebten, teils zerstrittenen Paare allerlei Ungemach : mit korrupten Verwaltern, zynischen Bürokraten, fiesen Hausmeistern und zänkischen Nachbarn. Am Ende aber löst sich in einer bunten Fantasie- und Traum-Szene alles in purem Wohlgefallen auf – eine ironisch-satirische Pointe, die sich Schostakowitsch und seine Librettisten leisten konnten: es war die Zeit des politischen und kulturellen ‚Tauwetters‘ der Chrustschow-Ära (zwischen 1956 und 1964).
Musikalisch schöpft Schostakowitsch aus dem Vollen, schreibt eine zündende Partitur mit schrägen Gassenhauern, Märschen und Walzern, zitiert berühmte Komponisten ebenso wie populäre Lieder oder Schlager. Ganz im Stil jener „Jazz“-Suiten, die inzwischen auch hierzulande aus keiner Radio- oder Fernseh-Show mehr wegzudenken sind. (Oder in Kino-Filmen wie z.B. der langsame Walzer in Kubricks „Eyes Wide Shut“).
Im Mittelpunkt der Inszenierung in der Schiller-Werkstatt steht ein Chor aus 23 Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren; das sind 15 Mädchen und 8 Jungen mit osteuropäischem Migrationshintergrund: ein Kultur-Projekt mit dem schönen Namen „Charlottengrad“, das besonders die Rolle gerade der Kinder jener zahlreichen Einwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjet-Republiken als Brückenbauer und Vermittler der unterschiedlichen Kulturen in Ost und West hervorhebt und fruchtbar zu machen versucht. (Die Operette selbst hat allerdings mit dem Thema Migration nichts zu tun.)
Dieser jugendliche Chor ist der Clou der Aufführung. Zunächst in mausgraue Anzüge und Kappen gesteckt, am Schluss dann in knallbunten T-Shirts, spielen sie die Bauarbeiter und Bewohner des neuen Viertels, kommentieren das Geschehen um die vier Paare oder spielen Schabernack mit dem korrupten Hausverwalter. Sie singen perfekt, tanzen und steppen aufmunternd und fröhlich an den Zuschauern vorbei, die in je zwei Stuhlreihen an den beiden Längsseiten des Raums plaziert sind, gelegentlich lassen sie auch Konfetti regnen.
Ansonsten bleibt die Inszenierung ziemlich fade. Dem Regisseur Neco Celik und seinem Team ist wenig eingefallen und beschränkt sich vorzugsweise auf dauerndes Hin-und Her-Rennen des Chores und auf stereotypische Gesten der 10 Akteure aus dem (soliden) Staatsopern-Ensemble: statt Scherz, Satire und Ironie beherrschen altbackene Gags und biedere Klamotte die wenig attraktive Szene mit ihren von der Bühnendecke herbahängenden Plastik-Röhren. Und das in einer Stadt, die berühmt ist für ihr kritisch-unterhaltsames Jugendtheater!
Schostakowitschs Musik zündet nach wie vor (Ursula Stigloher und ihre trefflichen Musiker beweisen das auf’s Schönste!) – und aus dem etwas in die Jahre gekommenen Libretto liese sich mit Witz und szenischer Fantasie noch manch satirischer und aktueller Funke schlagen: doch dieser dramaturgisch unscharfen und oberflächlich arrangierten Staatsopern-Auführung fehlt – trotz des charmant-agilen Jugend-Chores – jeglicher Biss. Schade, die flotte Sowjet-Operette hätte szenisch eine intelligentere Präsentation verdient!

Foto: Thomas Bartilla/Deutsche Staatsoper

nächste Vorstellungen: 04./05./06./08./09./11./13./15./17.Mai 2012 (unterschiedliche Anfangszeiten)