Rauhe (Seelen-)Landschaft: ‚Peter Grimes‘ in der Deutschen Oper****

Ein Dorf an der englischen Ostküste, kurz nach Ende des 2.Weltkrieges. Der Fischer Peter Grimes versucht den grossen Fang, um zu Geld und Ansehen zu kommen, einschliesslich einer Heirat mit der ihm gewogenen Witwe Ellen Orford. Doch in seiner rauhen Art gerät er in Konflikt mit den engstirnig-konventionellen Dorfbewohnern. Als sein erster Schiffsjunge vor Erschöpfung stirbt und einige Zeit später ein zweiter tödlich verunglückt, beginnt eine regelrechte Hetzjagd auf den ungeliebten Grimes – am Ende steht sein von allen begaffter und geduldeter Selbstmord auf der stürmischen See.
Der britische Komponist Benjamin Britten (1913-1976) entdeckte diese dörfliche Geschichte während seines Exils in Kalifornien: starke Gefühle an seine ost-engliche Küstenheimat und die Entdeckung der englischen Sprache für Musiktheater, verbunden mit mit einem Kompositions-Auftrag (des Bostoner Dirigenten Serge Koussewitzky) liessen so Britten erste, grosse Oper – etwas unerwartet – entstehen. Ihre Uraufführung fand nach der Rückkehr des Komponisten nach England im Juni 1945 in London statt: ein triumphaler Erfolg und damit die Entdeckung ihres Schöpfers als genuiner Theater-Komponist.
Regisseur David Alden zeigt die Tragödie eines verschlossenen Eigenbrödlers, dem eine in ihren Regeln und Riten verkapselte Gesellschaft gegenübersteht – keiner ist fähig den andern zu begreifen. Auch die gutwilligen Vermittler wie die Lehrerin Ellen oder der alte Schiffskapitän scheitern. Der Bühnenbildner Paul Steinberg schafft durch verschiebbare Wände unterschiedlich grosse Räume, die mit Hilfe sparsamer Requisiten (Sessel, Fenster, Geländer) und raffinierter Beleuchtung die düster-karge Atmospäre der rauhen Küste andeuten, im Hintergrund der Meereshorizont und schweren dunklen Wolken. Die Dorfgemeinschaft (Bürgermeister, Apotheker, Kneipenwirtin, ihre Zwillings-Nichten sowie der individuell gekleidete Chor) wird fast choreographisch den Einzelpersonen wie Peter Grimes, seinem (stummen)Schiffsjungen oder der Lehrerin Ellen gegenübergestellt – eindrucksvolle, fast abstakte Bilder einer ungleichen Konfrontation. Das packend erzählte Drama eines Individuums mit der Gesellschaft – abstahierend und realistisch zugleich – eine gelungene Balance im gegenwärtigen Musiktheater-Betrieb.
Auch musikalisch besitzt die Aufführung hohen Rang. An erster Stelle zu nennen: der beeindruckende, darstellerisch wie musikalisch höchst bewegliche Chor der Deutschen Oper (Leitung: William Spaulding). Christopher Ventris verkörpert mit metallisch-kraftvollem Tenor den raufbeinigen Peter Grimes, Michaela Kaune mit lyrisch-innigem Ton die ihm zugeneigte Ellen Orford, und Markus Brück spielt mit sanftem Bariton den vergeblich vermittelnden Schiffskapitän Balstrode.
Musikchef Donald Runnicles entlockt dem Orchester besonders in den Zwischenspielen prächtige Klang-Farben, steigert die grossen Ensemble-Szenen und Akt-Finali zu dramatischer Wucht, lässt aber gelegentlich die Szenen allzubreit ausspielen – straffere Tempi hätten die Gesamtwirkung noch erhöht. Und mit 3 Stunden und 30 Minuten Spieldauer gerät der Abend einfach zu lang.
Dennoch: eine packende Aufführung, die Brittens Rang als Erneuerer des britischen Musiktheaters eindruckvoll bestätigt.
Es ist eine Inszenierung der English National Opera(ENO) – Premiere war dort am 9.Mai 2009.
Premiere in Berlin: 25.Januar 2013, letzte Vorstellung in dieser Spielzeit: 15.Februar 2013.

Foto: Deutsche Oper Berlin/ Bernd Uhlig