Schwarze Geschichte: ’12 Years a Slave‘ von Steve McQueen****

Eine Stadt im Staate New York, 1841. Der schwarze Violonist Solomon Northup ist ein angesehener Bürger, verheiratet, zwei Kinder. Von dubiosen Schaustellern nach Washington gelockt, wird er gekidnappt und mit anderen Leidensgenossen als Sklave in den Süden verkauft. Zunächst an einen ihm freundlich gesinnten Plantagenbesitzer, dann, als er mehrmals aufbegehrt, auf die Baumwollfelder eines frömmelnden Sadisten, der seine schwankenden Gefühle brutal an den schwarzen Sklaven auslebt, die er immer als sein „Eigentum“ bezeichnet. Erst nach vielen Jahren gelingt es Solomon durch Zufall, einem weissen, nicht rassistisch denkenden Handwerker sein Schicksal zu erzählen – einige Zeit später wird er befreit und kann in den Norden zu seiner Familie zurückkehren.
Es ist eine „wahre Geschichte“ – Solomon Northup hat sie 1853 selbst in einem Buch veröffentlicht, das zur Grundlage des gut zweistündigen Films wurde. Der britische Video-Künstler und Regisseur Steve McQueen, der mit dem hautnah gezeigten Todeskampf des IRA-Terroristen Bobby Sands („Hunger“) und der intensiven Studie eines sexbesessenen New Yorkers („Shame“) grosse internationale Aufmerksamkeit erregte, schildert die Geschichte des Solomon Northup im Ton eines konventionell-farbigen Hollywood-Epos – auch wenn Details der Dramaturgie und Inszenierung die in solchen Historien-Filmen üblichen Klischees weitgehend vermeiden oder zu sublimieren versuchen. Auf ausladende Schau- und Massenszenen wird verzichtet, die Bildfolgen bleiben ganz nahe bei den Personen, ihren Gesichter, ihren Körperbewegungen;  der umstandslose, dramatische Fluss der Erzählung wird lediglich durch ruhige Landschafts-Aufnahmen kontrastiert und gegliedert.
Diese Art der sinnlich direkten Bilder wird besonders in jener Szene deutlich, als Solomon, der als Sklave den Namen „Platt“ tragen muss, an einem Baum aufgeknüpft wird, die Schlinge um den Hals, nur noch die Zehen berühren den sumpfigen Boden und bewahren den Gequälten vor dem Tod, während auf den Wiesen im Bild-Hintergrund die anderen Sklaven ihrer täglichen Arbeit nachgehen und (mit einer Ausnahme) nicht wagen, dem Aufgeküpften zu helfen.
Auch die sonst in Hollywood-Epen sämig aufrauschende Musik (hier vom Routinier Hans Zimmer) setzt Steve McQueen sehr behutsam ein, benutzt oft nur reine Natur-Geräusche – etwa bei einer Grossaufnahme, in der Solomon zweifelnd wartet, ob die Offenbarung seines Schicksals dem weissen Handwerker gegenüber Folgen hat – , doch will oder kann der Regisseur nicht ganz auf den gefühls-untermalenden Sound verzichten, einschliesslich des koventionell-perfekten Gospel-Gesangs baumwollpflückender ‚Nigger‘.
McQueens Film besticht vor allem durch seinen genauen, unbarmherzigen Realismus, der ohne romantisierende Beschönigung („Vom Winde verweht“) oder zynisch-blutige Grellheit („Django unchained“) die Geschichte der Versklavung schwarzer Menschen in den USA zeigt. Eine Geschichte, die sicherlich nicht nur der US-Vergangenheitsbewältigung gilt, sondern auch an aktuelle Zustände – ob in Afrika, Asien oder im übrigen Amerika – denken lässt.
Die kluge und kraftvolle Inszenierung wird vervollständigt durch ein Ensemble ausgezeichneter Darsteller, wobei Brad Pitt (einer der Mitproduzenten des Films) in der kleinen Nebenrolle des weissen Handwerkers und Gutmenschen allerdings recht blass bleibt. Beeindruckend das klare Gesicht des dunklen Hauptdarstellers Chiwetel Ejiofor mit seinen grossen, staunenden und fragenden Augen, und doch stiehlt wieder McQueens bevorzugter Schauspieler Michael Fassbender allen die Schau: als ebenso charmanter wie grausamer Plantagenbesitzer, wobei er geschickt die konventionelle Karikatur eines solch bösen Menschen vermeidet,  – ein „brillianter“ Psychopath, schillernd zwischen Bibel und Peitsche.
Steve McQueen tauscht in diesem historischen Opus seine strenge, experimentelle Inszenierungs-Kunst zugunsten eines weicheren, auf breitere Publikums-Akzeptanz setzenden Kino-Stils ein -  Hollywood dankt es ihm mit dem „Golden Globe“ und (vorerst) neun Oscar-Nominierungen.

Foto/Poster/Verleih: Tobis Film

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Babylon Kreuzberg (OmU); Filmkunst 66 (OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); International (OmU und dt.Fassung); Blauer Stern Pankow; CinemaxX Potsdamer Platz; Titania Palast; Delphi; Kino in der Kulturbrauerei; Yorck; Zoo-Palast