Unsentimentaler Pillen-Dealer: ‚Dallas Buyers Club‘ von Jean-Marc Vallée****

Dallas 1985. Ron Woodroof ist Elektriker und Rodeo-Fan, ein rauher Bursche, dem Alkohol und den Frauen äusserst zugeneigt. Eine Blutuntersuchung anlässlich eines Arbeitsunfalls enthüllt, dass er HIV infiziert ist und nur noch kurze Zeit zu leben hat. Erst will der homophobe Krawallbruder dies nicht akzeptieren, doch dann nimmt er den Kampf um sein Leben auf: gegen seine bisherigen Kumpels, die ihn, den mit der „Schwuchtelkrankheit“ Infizierten, ausgrenzen, gegen Ärzte und Pharmaindustrie, die in ihm nur eine Testperson für frisch entwickelte Medikamente sehen.
Ron macht sich über die neue, tödliche Krankheit sachkundig, findet im nahen Mexiko einen amerikanischen Arzt, der ihm Pillen und Proteine gibt, die zwar die Krankheit nicht heilen, aber verzögern und das Leben erträglicher machen. Sogleich erwacht in Ron sein Geschäftssinn; als Priester verkleidet schmuggelt er Medikamente, die in den USA noch nicht zugelassenen sind, ins heimische Texas und gründet dort den „Dallas Buyers Club“. Gegen hohe Monatsbeitraege bekommen dessen Mitglieder die entsprechenden Pillen, wobei Ron den Transsexuellen Rayon als Kontaktperson zu den Schwulen benutzt. Das Unternehmen, das eine Gesetzeslücke ausnutzt, blüht und wird sogar noch erweitert: vom billigen Motelzimmer zur pompösen, alten Villa und mit Verbindungen zu Pharma-Hersteller in aller Welt. Bis dann eines Tages doch die Gesundheitsbehörde mit Räumungsbefehl erscheint und Ron die gerichtlichen Gegenklagen verliert.
Diese Geschichte aus den Jahren als Aids noch wenig erforscht und Gegen- oder Hilfs-Mittel kaum bekannt waren, beruht auf Tatsachen. Ron Woodroof starb 1992, also nicht nach 30 Tagen, wie die Ärzte prophezeiten, sondern nach sieben Jahren.
Der Film des Franko-Kanadiers Jean-Marc Vallée erzählt seine Story flüssig und sachlich, vermeidet Gefühlskitsch und Tränendrüse, und lässt verhalten Kritik an der Gesundheitsbehörde und der Pharmaindustrie anklingen. Sein Interesse gilt vor allem der Personenführung und der Zeichnung der Charaktere. Und dafür stehen ihm – neben einem gut gecasteten Gesamt-Ensemble – zwei aussergewöhnliche Darsteller zur Verfügung: Matthew McConaughey als Ron Woodroof in der Haupt- und Jared Leto als transsexuelle Rayon in der (tragenden) Nebenrolle.
Das Faszinierende am McCouaugheys Gestaltung ist, dass er die Zwiespältigkeit von Ron’s Charakter unaufdringlich, aber genau sichtbar machen kann; einerseits ist er der durch die Krankheit gewandelte Mann, der sein Leben in die eigene Hand nimmt und somit eigen-bestimmt, andererseits aber bleibt er der seinen Ressentiments wie Homophobie verhaftete „White Trash“-Typ, der zwar den Aidskranken hilft, gleichzeitig jedoch ungerührt mit ihnen Geschäfte macht. Ein hagerer Cowboy, schlacksig, manchmal aussehend wie der „Tod auf Latschen“, dann wieder mit lebendig glühenden Augen im braungegerbten Gesicht – das eindringliche Porträt eines zwiespältigen Charakters.
Als sehr weibliche Transsexuelle Rayon macht Jared Leto perfekte Figur, grell im Outfit, doch im Gegensatz zum Egomanen Woodroof immer dem jeweiligen Partner oder Gegenüber freundlich oder ironisch zugewandt, dabei schlagfertig und witzig, wenn auch am letalen Ende nur noch ein schmales Häufchen Elend.
Beide Darsteller tragen diesen tragisch-traurigen Film, der aber immer im Rahmen des herkömmlichen Hollywood-Kinos bleibt, also spannend und kritisch zugleich – und unterhaltsam für ein breites Publikum.

Poster/Foto: Ascot Elite Filmverleih

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Babylon Kreuzberg (OmU); Central Hackescher Markt (OmU); Filmtheater am Friedrichshain (OmU und dt.); International (OmU); Movimento (OmU); Odeon (OmU); Titania Palast Steglitz; Kino in der Kulturbrauerei; Kant-Kino; Colosseum; Yorck