Unter Männern: ‚Billy Budd‘ in der Deutschen Oper Berlin***

Die Oper von Benjamin Britten (uraufgeführt 1951 in London) beruht auf einer Erzählung des Amerikaners Herman Melville. Sie spielt auf einem Kriegsschiff im Dienst des englischen Königs während der Napoleonischen Kriege. Der zwangsrekrutierte, neue Matrose Billy Budd, ein freundlich- naiver Sunnyboy, wird von den Mit-Matrosen sehr bewundert und geschätzt, erregt aber das Misstrauen des bösartigen Waffenmeisters Claggart. Dieser versucht ihn beim hochangesehenen und erfahrenen Kapitän Vere der Meuterei anzuschuldigen. Als Vere daraufhin Billy mit Claggert konfrontiert, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der erregte Billy seinen Ankläger Claggert durch einen Faustschlag tötet. Vere verurteilt Billy zum Tod durch Erhängen – ob er dazu durch das Gesetz gezwungen war, ob er der Umstände wegen Gnade hättte gewähren können, oder ob er in Zeiten der Revolution weitere Meutereien verhindern wollte, bleibt offen. Nach Billys öffentlicher Hinrichtung auf dem Schiffsdeck jedenfalls, fügen sich die murrenden Matrosen widerwillig der Schiffs-Obrigkeit. Im Epilog – Jahre später – räsoniert der altgewordene Kapitän Vere über seine damalige Entscheidung und tröstet sich damit, dass Billy das Todesurteil ohne Klage akzeptiert hat.
Die (in einer 1960 revidierten Fassung) zwei-aktige Oper konzentriert sich ganz auf die inneren Spannungen zwischen dem naiv-guten Billy Budd, dem böswilligen Claggart und dem Kapitän Vere, der Psychologie und Verhalten der beiden zwar klar durchschaut, aber im Umgang und Handeln mit dieser Situation unsicher ist und schwankt.
In Brittens Musik – tonal grundiert, mit ein paar Dissonanzen gewürzt – spielt das Meer die zentrale, begleitende Rolle -  ob lyrisch ruhig oder stürmisch bewegt. Matrosen-Lieder oder Schiffs-Signal-Töne werden raffiniert einbezogen, die Männer-Chöre der Seeleute schäumen immer wieder effektvoll auf.
Donnald Runnicles leitet das klangvoll aufspielende Orchester der Deutschen Oper  sicher durch Brittens mal still leuchtende, mal stürmisch rauschende Meereswogen. Wuchtig der von William Spaulding einstudierten Herren-Chor, einschliesslich eines Ensembles frisch klingender Knaben. John Chest singt mit weichem Bariton einen blond-empfindsamen Billy Budd, Gidon Saks überzeugt als Jago-ähnlicher, dunkelstimmig-teuflicher Gegenpart Claggert und Burkhard Ulrich charakterisiert mit seinem hellen Tenor den zwischen Gesetz, Recht und Gnade schwankenden Kapitän Vere.
Die Inszenierung von David Alden ist eine Übernahme von der Englischen Nationaloper London, wo sie im Juni 2012 Premiere hatte. Der Regisseur versucht geschickt zu abstrahieren, die Geschichte zwar real nachzuerzählen, aber zugleich ins Allgemeine zu übertragen. Die verdeckten homoerotischen Motive im Verhältnis der Männer untereinander werden angedeutet, spielen aber nur eine untergeordnete Rolle. Die (Einheits-)Bühne von Paul Steinberg wird beherrscht von einer hölzernen, balken-verstärkten Schiffs-Bauch-Wand, die Kostüme – meist dunkle Hosen, Jacken oder lange, matt glänzende Mäntel – passen zu jeder Epoche zwischen 1797 (dem Jahr von dem im Prolog die Rede ist) und heute. Die Personen singen meist direkt ins Publikum, ihre Bewegungen sind eher zeichhaft, dennoch dramatisch aufgeladen: Matrosen klettern und ziehen dicke Taue, der Kapitän hält Kriegs- und Gerichtsrat in einer schmalen, weissen Zelle, aus einem riesigen Kannonenrohr knallt kurz einmal ein Kugelblitz, Billy Budd räsonniert nach seiner Verurteilung hoch zwischen den Schiffs-Wand-Balken gleichsam wie in einer Todeszelle und am Ende, im Epilog, sinkt der alte Kapitän Vere vor einer herabgelassenen, pechschwarzen Wand stumm und tonlos zu Boden.
„Billy Budd“ – eine selten gespielte Oper, ein wenig plakativ in Bild und Ton, aber überzeugend in ihrem menschlichen Impetus.

Foto: Marcus Lieberenz /Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 3./ 6.Juni 2014