Höhlen-Koller: ‚Der Freischütz‘ in der Staatsoper im Schillertheater**

Zwei pausenlose Stunden in einer düsteren (Bühnen-)Höhle, die sich trichterförmig nach hinten zu einer schmalen Öffnung verengt. Die Darsteller können nur gebückt oder gekrümmt eintreten. Die Wände sind schruntig, der steil ansteigende Boden gefährlich uneben. Ein paar kahle Zweige (der Rest des deutschen Waldes) liegen herum, über die nicht nur Max und Agathe ständig stolpern, sondern über die auch der böse Teufel Samiel den gesamten Abend munter hin und her hüpft – eine Art Wolfsmensch mit stark tätowiertem Oberkörper und Pelzmütze. Kein Waldschlösschen, keine fürstlichen Jagdzelte – nur dieser schwach, manchmal  von Fackeln erleuchtete Raum, in dem ein dauer-geduckter Max daneben schießt, der böse Kaspar die teuflischen Freikugeln gießt, eine ängstliche Agathe im rosa Kleidchen sich heftig barmt, ein leicht irres Ännchen mit blutigen Fingern Gruselgeschichten erzählt, der Jägerchor schäumende Bierkrüge schwenkt und schließlich der fatale Probeschuß statt des vorgesehenen Happy Ends eine düstere Zukunft andeutet.
Der Regisseur Michael Talheimer ist für seine minimalistischen Inszenierungen berühmt, er kürzt viel und konzentiert die Stücke auf  wenige, aber starke und aussagekräftige Bilder – bei Lessings „Emilia Galotti“ oder Hauptmanns „Die Ratten“ (beide im Deutschen Theater) mit grandiosem Erfolg. Doch in der Oper klappt diese Methode nur eingeschränkt – zumindest solange die Musik noch (?) sakrosankt ist und nicht verändert werden darf.
Talheimer hat seinem „Freischütz“ die gesprochenen Dialoge geschickt gekappt, auch wenn Handlungsdetails dadurch verloren gehen. Doch Carl Maria von Webers Musik erzählt viel mehr als ein apokalyptisches Höhlen-Gleichnis. Zwar enthüllt die hoch-romantisch geprägte Partitur sehr deutlich „manch‘ finstre Mächte“ und unheimliche Abgründe, schlägt aber auch volkstümlich heitere und menschlich-versöhnliche Töne an. Trauer und Jubel, das Böse und das Gute halten sich die Waage, sind die zwei Seiten der menschlichen Existenz.
Dirigent Sebastian Weigle und die fabelhaften Musiker der Staatskapelle unterstützen einerseits das schwarze Konzept der Regie, lassen die Abgründe in der Musik durch Betonung und Rhythmus einzelner Noten und Passagen deutlich hören, doch verströmen die Hörner auch den betörenden Duft des „deutschen Waldes“ und bejubeln Geigen und Celli reine Gefühle und menschliche Aufrichtigkeit.
Das prominente Sänger-Ensemble ist durch das strenge und starre Regie-Konzept stark eingeengt, vermag sich deshalb nur bedingt zu entfalten. Dorothea Röschmann gerät als Agathe trotz innig-mädchenhafter Töne gelegentlich an die Grenzen ihrer Stimme, Burkard Fritz bleibt auch stimmlich eine gekrümmte Figur, Falk Struckmann profiliert den bösen Kaspar durch seinen  schwarzem Bariton, während Anna Prohaska als Ännchen ihre pathologische Figurenzeichnung mit einen leicht und flexibel geführten Sopran kontrastiert. Die übrigen Solisten (darunter Roman Trekel und Victor van Harlem) sowie der Chor (Einstudierung: Martin Wright) ergänzen das Sängerensemble sehr homogen.
Schade, diesmal scheitern Michael Talheimer und sein ständiger Bühnenbildner Olaf Altmann an ihrer Inszenierungs-Methode. Webers „Freischütz“ wird  einerseits zwar oft als biedermeierliche Folklore mißverstanden, doch ist er andererseits nicht nur eine düster-fahle Horror-Picture-Show.

Foto: Katrin Ribbe/ Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 24./30.Januar; 05./08.Februar 2015