Im modischen Turnschuh: ‚Parsifal‘ in der Staatsoper im Schillertheater***

Richard Wagners „Parsifal“.im Gewand von Heute. Aus dem mittelalterlichen Grals-Sucher ist in der Neu-Inszenierung der Staatsoper ein kurz-behoster, junger Mann im schwarzen Kapuzen-Pulli, Turnschuhen und mit riesigem Rucksack geworden. Er verirrt sich – einen Schwan erlegend – in ein heruntergekommenes Kloster-Refektorium, von dessen einst prächtiger Dachkuppel nur noch ein paar schlichte Bretter übriggeblieben sind. Dort versammelt sich ein Männerbund in dunklen Joppen und Strick- oder Pelzmützen, um ihren schwer verwundeten, priesterlichen Anführer Amfortas zum traditionellen Ritual zu überreden. In diesem nächtlichen Ritual wird das Blut aus seiner Wunde gepresst und im Gralskelch herumgereicht. Parsifal versteht nur Bahnhof und wird weggejagt,während eine blondgelockte Frau namens Kundry die liegengebliebenen Wundverbände des Amfortas zu den weihevoll an- und abschwellenden Klängen der Wagnerschen Musik sorgfältig aufsammelt.
Im zweiten Akt gerät Parsifal dann in Klingsors Schloßsaal, der sich als aseptisch-helle Kopie des düsteren Grals-Tempels entpuppt. Der hornbebrille, etwas spillerige Hausherr, Todfeind aller Gralsbrüder, wird von vielen grossen und kleinen Töchtern umgeben, die allesamt in pastell-bunten Blümchenkleidern den durch Fenster hereinkletternden Parsifal umtanzen. Auch die blonde Kundry gehört zu diesen Töchtern, ihr gelingt es Parsifal zu umgarnen und ins Nebenzimmer zu locken, aus den er aber nach wenigen Augenblicken halbnackt und entsetzt flieht. Dem nervösen Vater Klingsor nimmt er den Speer, mit dem einst Amfortas verwundet wurde, aus der Hand, stößt ihn dem Alten in die Brust und entschwindet.
Es folgt – wieder im alten Kloster-Gemäuer – der abschließende dritte Akt: ohne blühende Aue und Karfreitagszauber, dafür aber mit dem im Tod sich vereinenden Liebespaar Kundry-Amfortas (Gurnemanz ist der Mörder !) und einem siegreich-strahlenden Parsifal – jetzt, ganz erwachsen, in langen Hosen.
Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakow – inzwischen international vielbeschäftigt – will „Parsifal“ als realistische Geschichte von heute erzählen. Die Personen sind mit psychologischer Rafinesse stimmig geführt, die szenischen Bilder sind  klug darauf abgestimmt, optisch klar und einprägsam. Doch das Konzept, das im ersten Akt prächtig und im zweiten noch hinreichend funktioniert, kippt im dritten völlig und macht aus Wagners „Bühnenweihfestspiel“ eine fast komische Kolportage. Szene und Musik laufen nicht nur auseinander, sondern behindern sich gegenseitig stark. Denn die Musik beschwört eine religiös gefärbtes Mysterium, das alles äußere Geschehen überhöht und ihm so seine innere „Wahrheit“ verleiht.  Darum wird ein als psychologisch-realistisches Drama konzipierter „Parsifal“ unverständlich und zum (teils grotesken) Mißverständnis – auch wenn es wie hier mit großem Kunst- und Theater-Verstand realisiert wird..
Bleibt die Musik:
Dirigent Daniel Barenboim wählt diesmal – für seinen dritten „Parsifal“ an der Staatsoper – auffallend langsame Tempi, was den Sängern gelegentlich Schwierigkeiten bereitet, allerdings den szenischen Details – beispielweise in den Aktschlüssen – zu Gute kommt. Auffallend auch die kontrastreiche Betonung und Hervorhebung der einzelnen Orchestergruppen – der hohen – oder tiefen Streicher, der Holz- oder der Blechbläser – , wodurch weniger auf den „Bayreuther-Mischklang“ gezielt, als verborgene Strukturen der Moderne hörbar gemacht werden. Insgesamt gelingen Barenboim und seiner Staatskapelle eine stringente, klangvolle Interpretation – frei von jedem falschem Pathos.
Neben dem nuanciert singenden Chor (Einstudierung: Martin Wright) und einigen wohlklingenden Sängern des hauseigenen Ensembles in kleineren Partien triumphiert eindeutig der Gurnemanz des René Pape durch seinen warmen, fülligen Bass und seine absolute Wortverständlichkeit. Der junge Andreas Schager gilt als künftiger Parsifal-Star (Bayreuth 2017!); er besticht durch kraftvoll-leuchtende Spitzentöne, müsste aber für die gesamte Partie – musikalisch wie darstellerisch – noch flexibler werden. Anja Kampe ist eine überzeugende Kundry, ein Sopran mit schöner Tiefe und klarer Höhe. Wolfgang Koch als Amfortas und Tómas Tómasson als Klingsor ergänzen solide das gut harmonierende Solisten-Ensemble.
Der neue „Parsifal“ bleibt zwiespältig:  ein szenisches Konzept, das – wenn auch gut  umgesetzt -  scheitert, ein musikalische Interpretation auf hohem Niveau, die jedoch einige Wünsche offen lässt.

Foto: Ruth Walz/Deutsche Staatsoper
Premiere war am 28.März, die letzte (ausverkaufte) Vorstellung dieser Spielzeit ist am 18.April
2015