Düsterer Alptraum: „Hoffmann’s Erzählungen“ in der Komischen Oper***

Der Komponist Jacques Offenbach konnte sein letztes Bühnenwerk nicht mehr vollenden, so daß die „Operá Phantastique“ in fünf Akten „Les contes d‘ Hoffmann“ (UA: Paris 1881) bis heute in zahlreichen unterschiedlichen Fassungen zu erleben ist – dabei fast immer mit großem Erfolg.
Aus dem beim Musikverlag Schott aufbewahrten Konvolut von musikalischen Vorlagen hat der Intendant und Regisseur Der Komischen Oper, Barrie Kosky, nun eine sehr eigene und eigenwillige szenische Revue zusammengestellt, die dennoch alle musikalischen „Schlager“ dieser populären Oper beibehält.
Im Mittelpunkt steht der Dichter Ernst Wilhelm Theodor Hoffmann, der später seinen dritten Vornamen in Amadeus umwandelte – aus Verehrung für den Komponisten Mozart. Doch der Hoffmann auf der Bühne ist kein Porträt des Dichters, sondern die gleichnamige literarische Figur aus seiner Novelle „Don Juan“ – ein älteres Alkohol-Wrack, das von seiner maßlos-exzentrischen Leidenschaft für die Sängerin Stella erzählt, die in einer deutschen Kleinstadt die Rolle der Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ singt.
Wenn sich in der Behrenstraße der Vorhang hebt, sitzt der Schauspieler Uwe Schönbeck, ein älterer, untersetzter Glatzkopf, auf einer beweglichen, quadratischen Boden-Plattform voller Spirituosen-Flaschen im sonst leeren, dunklen Bühnenraum. Er derliriert sich seine Muse und Dienerin im Mozart-Kostüm herbei, sieht die angebetete Sängerin Stella im blaßfarbener Riesen-Robe vorbeihuschen und erzählt – nachdem er sich wundersam in einen jungen Sänger verwandelt hat – euphorisch den plötzlich auftauchenden (männlichen und weiblichen) Doubles der Sängerin von seinen vergangenen Liebes-Abenteuern. Vom singenden Automaten Olympia, der in einem Schubladenschrank hereingerollt wird und mit atemberaubenden Koloraturen das hübsche Liedchen von den liebesverkündenden Vögelein trällert – gelegentlich von schrillen Kicksern unterbrochen, wenn einer der eingebauten Chips ausfällt. (Die virtuose Nummer erinnert ein wenig an Koskys tolle „Zauberflöten“-Tricks). Im nächsten Bild wird die Sängerin Antonia, deren Krankheit ihr das Singen verbietet, von allen Seiten mit feurigem Geigen-Spiel geradezu traktiert und zum verbotenen Musizieren gezwungen, wobei die Bogen der Violinen wie Folter-Instumente ihren schlanken Körper gleichsam malträtieren. Und schließlich treibt die venezianische Kurtisane Giulietta böse Spiele mit dem inzwischen vom Bariton zum Tenor gewandelten Hoffmann unter heftigem Geld-Regen an einem offenen Sarg. Das Ende ist bei Kosky kurz und pessimistisch: Hoffmann bettet sich in den Sarg und krächzt – zusammen mit der inzwischen schwarzberockten Muse – das berühmte Duett Zerlina-Don Giovanni, das mit den ironischen, hier aber melancholisch empfundenen Worten endet:“…Andiam, andiam, mio bene, a ristorar le pene, d’un innocente amor“.
Barrie Kosky hat einen düstern Alptraum inszeniert, Schwarz ist die Grundfarbe des 3-stündigen Abend. Chor und Solisten spielen und singen mit staunenswerter Intensität. Nicole Chevalier in den drei Frauenrollen läßt ihre Koloraturen wie ein Feuerwerk explodieren und leuchten; der russische Baß Dimitry Ivashchenko prunkt als vierfacher Bösewicht mit tiefen, dämonischen Tönen, bleibt darstellerisch jedoch blaß; Peter Renz brilliert in den grotesk-komischen Diener-Nebenrollen und Karolina Gumos überzeugt als Rokoko-Muse mit schönem Mezzo.
Hoffmann ist in dieser Fassung dreigeteilt: als junger Bariton gefällt Dominik Köninger vor der Pause, danach bietet Edgaras Montvidas tenoralen Charme. Und Schauspieler Uwe Schönbeck verbindet als abgewackter Alt-Hoffmann die verschiedenen, revueartigen Bild-Szenen. durch den originalen deutschen Dichter-Text. Gesungen wird ausschließlich in Französisch..
Dirigent Stefan Blunier (Gast aus Bonn) sorgt für den federnden Rhythmus und die klangliche Leichtigkeit von Offenbachs elegant-melodiöser Musik.
Doch die Produktion hat einen Hacken. Die hinzuerfundene Figur des sprechenden Hoffmann bietet inhaltlich kaum Neues, sondern verdoppelt die Geschichten und zieht damit die Aufführung in die Länge. Das Tempo gerät ins Stottern. Hinzu kommt die gewollte Farblosigkeit der Ausstattung: es muß nicht immer die bekannte Silhouette Venedigs zu sehen sein, wenn die berühmte Barcarole erklingt, aber nur einen Hoffmann auf einem Sarg liegend im dunlen Raum zu präsentieren, ist optisch wenig ansprechend. So bleiben nur einzelne, wenn auch fulminante Einfälle wie Olympia im Schaukasten oder die wild geigende Alt-Frauen-Brigade des 2.Akt-Finales im Gedächnis, ansonsten fehlt „Hoffmanns Erzählungen“ diesmal doch Einiges an Spannung und unterschiedlicher Farbe.

Foto: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin

Premiere: 2.Okt., weitere Vorstellungen: 07./11./14./18./25.Okt.//07./27.Nov.//25.Dez.2015