Opern-Oratorium: ‚Fidelio‘ in der Staatsoper im Schillertheater***

fidelioZu Beginn des Abends dirigiert Daniel Barenboim die Leonoren-Ouvertüre Nr.2, nicht das gewöhnliche Fidelio-Vorspiel. Er läßt sie – in extrem langsamen Tempi – scharf und kantig musizieren und versieht so das vom Pianissimo zum donnernden Forte gesteigerte Jubel-Thema am Schluß gleichsam mit einem Fragezeichen. Dann hebt sich der Vorhang und zeigt – als minuziös gemalten Prospekt – den Goldenen Sall des Wiener Musikvereins. Davor stehen ein Konzertflügel mit marmorner Beethoven-Büste und ein großer Sängerchor in Alltagskleidern. Doch schnell fällt der Prunksaal-Prospekt zusammen und zeigt dahinter eine steinerne Gefängniswand voller größerer und kleinerer Graffitti (allerdings nur mit Opernglas zu entziffern). Sänger mit dem Klavierauszug in der Hand beginnen die ersten Szenen des „Fidelio“ zu proben.

Diese Idee einer gespielten Probe zieht sich durch den ganzen Abend, wobei die Sänger-Darsteller meist voll in ihre Rollen einsteigen und sich mit ihnen identifizieren. Die Geschichte von der als Mann verkleideten Leonore, die ihren unschuldig verhafteten Gatten Florestan im Gefängnis sucht und glücklicherweise befreien kann, wird klar und deutlich nacherzählt. Doch immer wieder treten die Sänger aus diesem Spiel heraus, greifen zum Klavier-Auszug oder beobachten distanziert Geschehen und Partner. Am Ende verwandelt sich die düstere Gefängnis-Bühne wieder in den goldenen Prunksaal und Chor wie Solisten treten an die Rampe und schmettern den Beethovenschen Jubelgesang direkt in den Zuschauerraum.

Harry Kupfer, der den „Fidelio“ schon mehrmals auf verschiedenen Bühnen – auch mit ähnlicher Grundidee – inszeniert hat, wurde von Daniel Barenboim eingeladen, mit ihm diese Oper neu herauszubringen – eigentlich gedacht zur Eröffnung des renovierten Stammhauses unter den Linden. Doch daraus wurder wegen der baulichen Verzögerungen nichts und findet die Beethoven-Premiere zu Beginn der neuen Spielzeit 2016/17 noch im Ausweich-Quartier an der Bismarckstrasse statt.

Dirigent wie Regisseur bemühen sich alles falsche Pathos, das so oft in diese Oper hineinprojeziert wird, zu vermeiden. Doch das ständige Pendeln zwischen symbolischer Andeutung und realem Spiel, zwischen der Form der Oper und des Oratoriums findet keine theatertaugliche Balance. Alles ist zwar klug und intelligent erdacht und umgesetzt, doch in fast keine Moment wirklich überzeugend oder gar berührend. Der gedankliche wie musikalische Aufbruch, der Schwung, das Neuartige und Mitreißende dieser einzigen Beethoven-Oper will sich nicht einstellen. Entsprechend die Resonanz des Publikums: freundlich und verhalten.

Die durchwegs guten Sänger können daran auch nicht viel ändern. Gefällig und stimmig das junge Paar Evelin Novak als Marzelline und Florian Hoffmann als Jaquino. Falk Struckmann  (Don Pizarro) und Matti Salminen (Rocco) haben auf Grund ihres Alters den jeweiligen stimmlichen Höhepunkt überschritten, bleiben darstellerisch jedoch immer noch sehr präsent. Der Florestan des noch jungen Andreas Schager verfügt über eine gute Figur und einen hellen, kräftigen Tenor, leider neigt er durchgängig zu übermäßiger Lautstärke. Die Finnin Camilla Nyland ist als Erscheinung ein glaubwürdiger Fidelio und eine sehr menschliche Leonore, sie besitzt einen runden, klaren Sopran mit schönem lyrischen Timbre, dramatische Durchschlagskraft ist ihre Sache eher nicht. Klang-schön der Gefangenen-Chor der Männer im ersten Akt, klang-voll der gesamte Staatsopernchor im Finale (Einstudierung: Martin Wright). Fein differenziert folgt die Staaskapelle ihrem engagierten Dirigenten.

„Fidelio“ ist ein schwieriges Stück. Oper oder Oratorium ? Auch wenn in dier Aufführung dieser Zwiespalt deutlich ausgestellt wird – der inszenierte Versuch einer Antwort bleibt sehr pauschal und plakativ und läßt so allzu viele Fragen offen. 

Foto: Bernd Uhlig /Staatsoper

Premiere: 3.Oktober 2016