Robuster Tag-Träumer: ‚Les Contes d`Hoffmann‘ in der Deutschen Oper Berlin****

Zu Beginn von Jacques Offenbachs letztem Bühnenwerk (Paris 1881) sitzt in der neuen Fassung der Deutschen Oper der Dichter Hoffmann am linken  Portal der sonst noch dunklen Bühne und lauscht den – nicht sichtbaren – Chören der Weingeister. Dann erscheint in weiß-fließendem Gewand seine Muse und verspricht dem trunksüchtigen Dichter, ihn auf seinem weiteren Weg zu begleiten – in Gestalt seines Freundes Nicklausse. Die Bühne wird sanft hell, Wände gleiten herein oder (aus dem Bünenhimmel) herab und bilden permanent neue,  bläuliche, sparsam beleuchtete Räume: die karge Studenten-Kneipe von Lutter & Wegner, in der Hoffmann seine Erzählungen mit dem Lied vom Klein-Zack beginnt, dann das schmal zulaufende, hohe Labor des Physiker Spalanzani mit dessen Tochter-Puppe Olympia im dunklen Hintergrund, das dämmrig-surreale Treppenhaus der kranken Sängerin Antonia und der mit Riesen-Spiegeln verzierten Luxus-Salon der venezianischen Kurtisane Giulietta. Am Schluß dieser fantastisch-skurrilen Reise liegt Hoffmann  – wie zu Beginn –  am linken Bühnenrand jetzt sturtzbetrunken und erschöpft, aber immer noch treulich bewacht von dem wieder in Gestalt der Muse erscheinenden Nicklasse…

Der französische Regie-Star Laurent Pelly hat die kluge, kühl distanzierende  Aufführung 2005 für Lyon erarbeitet. So erfolgreich, daß sie danach auch in Barcelona und San Francisco zu sehen war und jetzt für Berlin  neu einstudiert wurde. Sie besticht durch die elegant gleitenden Bühnenbilder (von Chantal Thomas), den schlicht-vornehmen Kostümen im Stil der Enstehungszeit der Oper (vom Regisseur selbst entworfen) sowie durch eine klare, fantasievollen Bewegungsführung von Chor und Solisten. Eine Inszenierung, die konventionell erzählt und dennoch in ihrer Präsenz sehr gegenwärtig und theatertauglich wirkt.

Vor allem aber dient sie der Musik, die hier unter dem italienischen Dirigenten Enrique Mazzola ganz prachtvoll zur Entfaltung kommt: Das Orchester der Deutschen Oper zeigt sich in Top-Form: detailgenau, durchhörbar, leicht unf federnd im Rhythmus, vielfarbig im Klang. Vor allem aber stützen und begleiten Dirigent und Orchester die große und heftig agierenden Sängerschar sehr feinfühlig und sensibel.

Der schwedische Tenor Daniel Johansson singt und spielt einen (zu ?) kraftvollen Hoffmann, die rumänische Sopranistin Cristina Pasaroiu beherrscht die Koloratur der Olympia ebenso perfekt wie den lyrisch-vollen Ausdruck von Antonia und Giulietta. Prachtvoll in seiner tiefen Baß-Stimme und überzeugend in den vier verschiedenen Rollen als Bösewicht: der Italiener Alex Esposito. Die Haus-Mitglieder Irene Roberts (Muse/Nicklasse) und Gideon Poppe (Chochenille, Franz) vervollständigen das attraktive Solisten-Ensemble. Den mächtigen Chor hat Jeremy Bines bestens vorbereitet.

Clou des mit vier Stunden etwas lang geratenen Abends ist jedoch im zweiten Akt der ungewöhnliche Auftritt der Olympia, die zunächst mit puppenartigen Bewegungen ihre berühmte Zwitscher-Arie beginnt. Doch mit der ersten Koloratur schwebt sie plözulich steil nach oben, ohne daß sie dabei von irgendwelchen Seilen gezogen würde. Und immer weiter schwebt sie im Takt der Musik hoch und nieder, im Schwung der Musik mal nach rechts, mal nach linkts. Die Zuschauer in der Deutschen Oper reagieren verblüfft und mit unterdrückten Ah`s und Oh`s.. Erst während der letzten Strophe läßt der Regisseur den Trick erkennen: Olympia trägt einen großen, weiten Rock, der verbirgt, daß sie auf einem Stuhl sitzt, der von einer langen Stange und einer damit verbundenen  Apparatur hinter dem scharzen Vorhang geteuert wird – ein Theater-Trick, der schon zu Offenbachs Zeiten für Verblüffung sorgte. Der Beifall in der Deutschen Oper war enorm.

Premiere: 1. Dezember 2018