Zwei außergewöhnliche Filme: *Cold War‘ und ‚Roma‘

Mehr oder weniger zufällig kamen zwei hervorragende Filme innerhalb kurzer Zeit (Ende November/Anfang Dezember 2018) in die deutschen Kinos: die polnische Liebesgeschichte „Cold War“ (deutscher Titel: ‚Der Breitegrad der Liebe‘) und die Mexiko/USA-Produktion „Roma“. Beide sind in Schwarz/Weiß gedreht, beide erzählen private Schicksale, die jedoch  – ohne plakativ zu werden –  sehr sensibel mit ihrem politisch-gesellschaftlichen Umfeld verknüpft werden und dadurch überzeugende Bedeutung und Größe gewinnen.. Beide sind auch  kinematographisch phantasie- und eindrucksvoll.

„COLD WAR“ von Pawel Pawlikowski****

Der Warschauer Musiker Wiktor erhält 1949 den Auftrag auf einem ehemaligen Herrensitz ein Folklore-Ensemble aus jungen Sängern und Tänzern zusammenzustellen, um mit dieser Tuppe die Kultur des neuen sozalistischen Staates zu repräsentieren. Unter den jungen Musikern lernt Wiktor die große Liebe seinen Lebens kennen, die eigenwillige, etwas undurchschaubare Susanna, genannt Zula. Doch die Beziiehung läuft nicht glatt, immer wieder trennen sich die Beiden im Streit. Ein Gastspiel des nach einigen Jahren im Ost-Block sehr erfolgreichen Folklore-Ensembles in Ostberlin, nutzt Wiktor zur Flucht in den Westen, Susanna – hin und hergerissen – aber bleibt in Polen. Wiktor gelingt es in Paris, sich als erfolgreicher Musiker zu behaupten. in den späteren 1950er Jahren besucht ihn Susanna, doch nach einiger Zeit geht auch hier ihr Zusammensein in die Brüche, Zula kehrt nach Warschau zurück. Als Wiktor ihr später folgt, wird er als einst Republikflüchtiger verhaftet und zu langer Gefängnisstrafe verurteilt, Die inzwischen verheiratete Susanna kann ihn zwar (nach vier Jahren) dank der Beziehungen ihres Mannes aus der Haft holen, doch Wiktor ist seelisch gebrochen. Beide glauben, ihre tiefe Liebe nur noch im Tod verwirklichen zu können.

Hervorragende Schauspieler (Joanna Kulig,Tomasz Kot), eine raffinierte Dramaturgie, die geschickt filmische Elipsen einsetzt, eine intensive Kamera, die effektvoll zwischen Hell und Dunkel chargiert,und das kluge Drehbuch, an dem Regisseur Pawel Pawlowski (61) starken Anteil hat, machen diese gefühlsstarke Liebes-Beziehung in den Zeiten des polnisch gefärbten Stalinismus zu einem ebenso überzeugenden wie attraktiven Kino-Erlebnis.

‚ROMA‘ von Alfonso Cuarón****

Nach seinen großen Erfolgen in Hollywood (‚Children of Men*, ‚Gravity‘) kehrt der mexikanische Regisseur (58) in seinem neuen, für Netflix produzierten Film zu seinen Wurzeln zurück und reflektiert Eindrücke aus seiner Kindheit, die er im Stadtteil Roma von Mexiko-City verbrachte. In ausgetüfftelten, schwarz/weißen Breitwand-Bildern erzählt er vom Alltag einer gut-bürgerlichen, mittelständischen Familie: der Vater,  Arzt und oft auf Reisen, die Mutter ebenfalls Akademikerin, die ihren Beruf jedoch zu Gunsten der Familie aufgegeben hat, vier sehr lebhafte Kinder, die noch zur Schule gehen, eine rüstige Großmutter und zwei weibliche Angestellte leben in diesem wohlhabenden Haushalt. Es sind typische Vertreter der mexikanischen Klassengesellschaft zu Beginn der 1970er Jahre, deren Auseinanderbrechen sich in einigen Szenen schon klar andeutet. So graten das Kindermädchen Cleo und die Großmutter beim Besuch eines Möbelgeschäftes in eine wilde Schießerei zwischen revoltierenden Sudenten und der brutal zurückschlagenden Polizei. Ein anderes Mal sucht Cleo in der näheren Umgebung nach dem Vater ihres noch ungeborenen Kindes und findet ihn bei einer Kraft-Sport-Truppe, die von einem „esoterischen“ Trainer geführt wird und latente und bedrohlpche  Gewaltbereitschaft ausstrahlt. Auch in der scheinbar harmonischen Familie zeigen sich Risse: der Vater verläßt das Haus, zieht zu einer Geliebten, die Mutter muß ihren Beruf wieder aufnehmen, um den Lebensstandart halten zu können. Doch im Mittelpunkt des Films steht die indigene Cleo, die zwar gemeinsam mit der Familie den Abend vor dem Fernseher verbringen darf, dabei aber immer auch Gläser oder Snacks auf- und abräumen muß.  Das liebenswürdige Haus– und Kindermädchen wird auch generös von der Hausherrin betreut und versorgt, als es ein Kind erwartet, und dieses nach einer Todgeburt verliert. Cleo bleibt der ruhige und sanfte, meist stumme Mittelpunkt im ständig wechselnden Auf- und Ab dieser Familiengemeinschaft.

Die große Kunst des Regisseurs besteht in der Art und Weise wie er diese Familiengeschichte erzählt. Nämlich in einem breit angelegten Fluß betörender Bilder und Sequenzen, voll gespickt mit hinweisenden Details oder aus ungewöhlichen aber charakterisierenden Perspektiven (Boden-Kacheln, die vom Putzwasser überspült werden, die rasante Kamerafahrt durch aufgepeitschte Meereswellen, aus denen Cleo den jungen Paco rettet, durchs Glasdach sichtbare Wolkenfelder mit durchquerendem Flugzeug). Kühn auch die oft verkürzende Erzählstruktur und  der spannungsreiche Wechsel zwischen ruhigen Szenen im Haus und dramatischen Ereignissen wie dem lautstarken Studenten-Protest oder der turbulenten Silvesterfeier in brennender Natur. Regisseur Alfonso Cuarón ist prägend auch am Drehbuch, an der Kamera und am Schnitt mitbeteiligt, was dem 135 Minuten langen Film sicherlich zu seiner künstlerischen Geschlossenheit und Wirkung verhilft. Aus dem hierzulande unbekannten Darsteller-Ensemble ragt die indugene Yalitza Aparicio als Hausmädchen Cleo heraus, in jeder Einstellung überzeugend, auch wenn der Regisseur (kleiner Einwand!) ihrer Figur fast ausschließlich engelhafte Züge verliehen hat.

(„Cold War“ ist noch in zahlreichen Berliner Kinos zu sehen / „Roma“ wurde in nur wenigen Vorstellungen in ausgewählten Kinos gezeigt und ist ab 14.12. bei Netflix abrufbar)